Architektur aus dem Geiste von Ort und Material …

By cjg on 2. März 2016 — 5 mins read

Fünf silberfarbene, großformatige Bände bergen die Auswahl einer Werkschau Peter Zumthors. Die Bücher weisen neben knappen Erläuterungstexten reichlich Gebäude- und Modellfotos, Ansichts- und Grundrisspläne bzw. Schnitte sowie Entwurfsskizzen auf. Unter den 42 dokumentierten Projekten aus 28 Jahren Schaffenszeit sind selbstredend weithin bekannte Gebäude wie z.B. „Therme Vals“, „Kunsthaus Bregenz“ oder das „Diözesanmuseum Kolumba“ zu finden. Auffällig ist aber die Darstellung einer großen Anzahl nicht realisierter Gebäude. Diese Momentaufnahmen einer Entfaltung, die nicht an ihr Ende geführt werden konnte, scheinen dem Architekten viel zu bedeuten – nach der Lektüre der fünf Bände wird dem Leser klar, warum.

Wie stets in seinen Texten, hält der Baumeister die Schreibweise sehr persönlich. Hier erzählt jemand etwas über sich und seine Arbeit. Keine große Theorie, keine Anstrengung. Ganz gerade und einfach, das ist sein Weg. Die baulichen Themen des Schweizers haben es allerdings in sich. Im wahrsten Sinne in sich, denn In-sein bzw. Drin-sein ist der Modus des Menschen. Drin-sein in der begegnenden Welt und nicht nur drin im eigenen Kopf oder in denen anderer. „Welt weltet“, hat Martin Heidegger (1889-1976) sehr richtig erkannt und unser Dasein als „geworfenen Entwurf“ bezeichnet. Denkansätze, die Zumthor nicht fremd sein dürften. Ohne sie könnte er seine Bauwerke nicht in die geheimnisvolle Spannung versetzten, ohne sie keine Atmosphären balancieren, kein Licht verräumlichen, keine Materialien zum Schwingen bringen – kurz, seine Architektur nicht als Alchemie zelebrieren: “Über dem Wasser ein feiner Dunst, ein Strahlen liegt in der Luft, Bodenseelicht. Dieses Licht in den Raumbehälter des neuen Museums in Bregenz einzufangen, war ein Wunschtraum.”

Baukunst ist für Zumthor nicht zuletzt ein sinnlich-dialogisches Arbeiten mit Vorgefundenem: “Es gefällt mir, mit einem neuen Gebäude auf einen Ort zu reagieren. Orte faszinieren mich”, so der Schweizer, der seine Häuser quasi auf Maß schneidert. Das jeweilige atmosphärische Gefüge wird dann mit den Erfordernissen der Nutzung abgestimmt. Machen das nicht alle Architekten so? Nein. Die allermeisten Zunftvertreter passen ihre räumliche Idee bis zur Unkenntlichkeit den Bauvorschriften an oder den Konstruktionsmethoden, lassen sich kleinkriegen von den Ängsten der Beteiligten, vom Zaudern der Ingenieure, den endlosen Ausreden der Handwerker oder den Drohungen der Investoren. Nicht so Peter Zumthor. Er ist dafür bekannt, keine Kompromisse einzugehen: “Jeder architektonische Entwurf muss abstrakte Vorgaben hinterfragen können, denn erst, wenn etwas körperlich wird, kann man merken, ob das abstrakt Vorausgedachte auch konkret funktioniert.” Durchhalten kann er das freilich nur, weil er im permanenten Gespräch bleibt mit den richtigen Mitarbeitern, Ingenieuren und Handwerkern im Team. Ihnen wird im letzten Band ausdrücklich gedankt, aber gleichfalls dem antiauktorialen Entwurfsdogma eine Absage erteilt.

Wie verschiedenste Projekte zeigen, wusste der Architekt schon früh mit Quadern und Kuben umzugehen, auch solchen, die man eher bei Rationalisten entdeckt. Er kann sie quasi im Zaume halten, sie an der formalistischen Entartung und sterilisierenden Wirkung hindern. Hier zeigt sich, dass ein Anschluss an die Wirklichkeit der Welt und kein transzendent motivierter Kampf dagegen, ebenso orthogonal vonstatten gehen kann. Festzustellen ist aber auch, dass in neueren Arbeiten organische Formen zahlreicher werden, wie z.B. die Entwürfe für „Nomads of Atacama Hotel“ oder „Los Angeles Country Museum of Art“ zeigen. Allerdings bedarf es bei Zumthor keiner Verwinkelungen, Krümmungen oder Farbeffekte, um Natürlichkeit im besten Sinne hervorzubringen bzw. an der Geburt der Architektur aus dem Geiste von Ort und Material teilzuhaben. Einer Geburt, die im mittlerweile weltberühmten ‚Kreissaal‘ Therme Vals eindrücklich verfolgt werden kann: „Sonnenlicht sickert ein durch die schmalen Schlitze, durch die Fugen, die wir zwischen den Deckenplatten frei gelassen haben; Tageslicht und Landschaftsbilder fluten riesige Fenster, Stein und Wasserflächen modellierend, im wechselnden Licht der Tage und Jahreszeiten.“

Der Architekt lässt sich aber auch von seiner Phantasie leiten und scheint dabei aus einem poetischen Quell zu schöpfen, der voller Bilder, Farben, Gerüche, Klänge und Empfindungen ist. Ein entwerfender und bauender Synästhetiker setzt hier das Werk: „Die Struktur dieser Decke müsste den Raum nach oben hin unendlich erscheinen lassen, auflösen, erhofften wir uns.“ Kein Wunder also, dass Zumthor 1998 an poetischen Landschaften mitplante, in denen es darum ging, Gebäude für geistige Bedürfnisse zu entwerfen, die wie Gedichte klingen und deren Präsenz verkörpern sollten: „Aus dem Vorrat an architektonischen Bildern, den ich mir damals erträumt und erarbeitet hatte, entstand später die Feldkapelle Bruder Klaus in Wachendorf in der Eifel.“ Hier verband sich ganz offensichtlich die Poesie trefflich mit dem Material, denn wie ein kryptischer Monolith wirkt die Kapelle auf den sanften Schwüngen der Landschaft und erzeugt einen eigentümlichen Sog. Verblüffend ist der Gegensatz von außen und innen und hierzu passt die dreiwöchige Trocknung von 112 Holzstämmen im Schwelfeuer, die bei der Errichtung als innere Schalung dienten und nun den Beton des Kapellenraums dunkel, erdig und geheimnisvoll rhythmisieren.

Seine Stärken spielt der Baumeister aus, wenn er in der Landschaft baut, bzw. in ihr plant. Das zeigen unter anderem die nicht realisierten Projekte „Insel Ufnau“ oder „Gut Aabach“. Assoziationen zu Frank Lloyd Wright (1867-1959) kommen hier auf – dem Architekten, dessen Bauwerke regelrecht aus der Erde emporwuchsen. Dem Schweizer gelingt ebenfalls dieses spezielle Einfühlen in einen Ort und der zugehörige Funke springt sogar noch in der Darstellung der Entwurfsideen über. Die abgebildeten Modelle entwickeln nämlich ein Eigenleben, das weit über die sachliche Darstellung hinausgeht und werden mit rhythmischen Kompositionen bzw. polychromen Notationen ergänzt, die aufführungsreif scheinen, aber kaum noch an herkömmliche Architekturzeichnungen erinnern.

Nicht umsonst betont Zumthor, dass er die Entwürfe mehrfach von innen nach außen und außen nach innen formt. Er will seine Arbeit offenbar als Suche verstanden wissen. Eine, die so lange dauert, bis eine Synthese aus Ort, Nutzung, abstrakten Parametern, Visionen, Träumen und einer materialbasierten Alchemie gelingt. Das unterscheidet diesen Stararchitekten von anderen, die dieses Prädikat tragen. Keine parametrischen Bezeugungen vermeintlicher Kreativität und keine broschürentaugliche Selbstbeweihräucherung im Dienste marktwirtschaftlicher Servilität lassen sich in der vorliegenden Werkschau finden, sondern eine Dokumentation beständiger Unbeständigkeit, die sich stets anders und unvorhersehbar in Architektur manifestiert.

Erschienen: Faust-Kultur