Über das Tanzen reden …

By cjg on 6. Oktober 2016 — 2 mins read

Wim Wenders setzte vor fünf Jahren der Tänzerin und Choreografin Pina Bausch (1940-2009) ein filmisches Denkmal. Mit den Mittel dieses Zeitmediums gelang es ihm, die Arbeiten der langjährigen Chefin des „Tanztheater Wuppertal“ einzufangen. Bis auf einige Sequenzen sah man seinerzeit fertige Projekte, aber kaum den Arbeitsprozess von Choreografin und Compagnie. Eine Lücke, die nun die Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater“ schließt. Die Schau im Martin-Gropius-Bau läuft noch bis zum 9. Januar 2017.

Bausch war sehr eng mit ihren Tänzern verbunden. Das wird deutlich, wenn man das Buch: „O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden“ zur Hand nimmt, das begleitend zur Ausstellung erschienen ist. Ihre Stücke, so erfährt man weiter, fingen eher im Kopf an, denn in den Beinen. „Jemand hat neulich gesagt: Das war jetzt die 121 Frage.“ (S. 78) Die Bewegungen wurden also förmlich herausgelockt. Ihre diesbezüglich kooperative Erarbeitungsphase stellt Bausch schon 1975 vor: „Es gibt eine choreographische Keimzelle, aus der die ganze Inszenierung dann allmählich entsteht. Das ist fast wie mit einem Mosaik, bei dem das erste Steinchen das Wichtigste ist“ (S. 23) Freilich war sie es, die die endgültige Entscheidung traf, welches Steinchen zum Einsatz kam.

Dass ein O-Ton-Band und kein Bilderbuch die Ausstellung begleitet, zeigt sich als ausnehmend gute Idee. Hervorragend les- und ebenso nachvollziehbar vermochte Bausch, ihre Kunst zu erläutern. Die Anmerkung, dass sie sehr wenige Interviews gab bzw. Reden hielt, zeigt hier nur, dass Ihre Haltung richtig war. Das Wesentliche ist gesagt und wird die Zeiten überdauern; z. B. Sätze, die einen unermüdlichen Forscherdrang zeigen: „Ich spür‘ schon, was ich suche, aber ich kann’s nicht formulieren, vielleicht will ich es auch manchmal gar nicht formulieren. Manchmal begegnen einem auch Sachen zufällig, beim Lesen. Aber an sich suche ich schon irgendwo.“ (S. 40)

Die Choreographin war stark angesprochen von der Welt. Ohne Zweifel eine synästhetische Existenz. Sie spürte Räume wie Menschen und ließ sich auf Details ein: „[…] Was macht das mit meinem Körper? […] Wasser – plötzlich werden die Kleider ganz lang und nass und das Wasser wird kalt, die Geräusche, die es macht, oder es spiegelt sich im Licht. Das lebt anders […]“ (S. 180) Einige Jahre später im Gespräch mit Norbert Servos komplettiert Bausch diesen Gedanken wie folgt: „Ich erlebe viele Dinge; wo das dann bleibt, weiß ich nicht. Ich weiß überhaupt nichts. Das ist ja überhaupt ganz erstaunlich, wie wenig man weiß.“ (S. 201)

Es scheint, als habe sich die Choreographin ihr Tun vergewissert – über die Jahre hinweg und immer dann, wenn sie reden musste. So wiederholen sich zwar Antwortmuster, werden aber ergänzt, ausgedeutet und mit den Jahrzehnten reifer; quasi eine Evolution, die der Leser nachvollziehen kann. Genau das macht das Buch spannend.

Zusammen mit den Filmdokumenten können nun Innen- wie Außenperspektiven auf Pina Bausch geworfen werden. Nicht nur Werk, sondern auch die Haltung bei dessen Hervorbringung klären sich. Ein flüchtiges Geschehen wie der Tanz korrespondiert mit dessen Medium, dem Film. Das stets fließende Denken erscheint in den dokumentieren Interviews und Reden. Ein Denkmal in Wandlung entsteht und wird quasi ein „Wandelmal“. So bricht Bausch auch noch nach ihrem Tode neue Bahnen.

Erschienen: Faust-Kultur