Wie geschieht künstlerische Architekturforschung? Die Grazer Professorin Irmgard Frank setzt auf die Untersuchung der Wechselwirkungen von Nutzer, Raum, Material und Licht. Dieses Geflecht bestimmt die Atmosphären, in die Bauwerke gehüllt sind oder die aus diesen verströmen. Im Band „Raum_atmosphärische Informationen. Architektur und Wahrnehmung“ werden architektonische Konstellationen zu Versuchsanordnungen und Nutzer zu Forschern.
Das Kapitel „Raum“ eröffnet Franziska Hederer. Sie schreibt eine – allerdings tollkühn kurze – Geschichte der Raumwahrnehmung und beginnt im Geiste des Paradigmenwechsels des 20. Jahrhunderts. Das jedenfalls wird deutlich, wenn sie den Betrachter als maßgebenden Bestandteil einer beobachteten Situation, eines Sachverhalts begreift und somit der Relativität das Wort redet. Sie entgeht glücklicherweise der Falle, das Subjekt als alleinigen Konstrukteur seiner Welt anzusehen und betont dessen Verstricktheit bzw. Geworfenheit. Wahrnehmung wäre demnach eine leibliche Interaktion mit dem bestehenden Raum. Sie schlägt im Anschluss eine Brücke, die in der griechischen Antike beginnt, das Christentum tangiert und im performativen Raumverständnis der Gegenwart endet. Letzterem schreibt sie zu, das Flüchtige in sich zu bergen, was wiederum die Architektur über reine Funktionalität hinausführe. Den Praxisüberschlag soll das Projekt „Goldener Engel“ in Graz leisten. Besonders die dortige Hofsituation mit dem „Himmel als Dach“ (S. 32) ließe die Grenzen von innen und außen verschwimmen und die Stimmungen von Regen, Sonne, Mond und Sternen hätten die Gelegenheit, in das Haus einzudringen und Atmosphären zu stiften. Im Kapitel „Raum“ gibt es noch weitere Aufsätze und Praxisbeispiele zu den Themen Bewegung, Landschaft, Dynamik und Begegnung.
Der Abschnitt „Material“ besteht aus Theorie/Praxis-Beiträgen zu: Berührung, Oberfläche und Alterung. Matthias Burghardt macht zusätzlich in seinem Essay eine Art atmosphärische Verkühlung unserer Gegenwart an der Bevorzugung harter, glatter und fester Materialien fest und will den Geist der Mathematik und Geometrie als diesbezügliche „raumpsychologische Großwetterlage“ (S. 120) in die Verantwortung nehmen. Er wird schnell fündig, denn abendländisches Denken mit Pythagoras und Platon ist ja tatsächlich „der Welt als Zahl“ verpflichtet. Dieses und auch das rationale Denken gelte als männlich und das materielle Gegenteil dazu als weiblich – auch dieses ist tatsächlich bei Platon zu finden. Burghardt erweitert diese Dialektik nun mit „hart und weich“ und schreibt männlichen Architekten eine Aversion gegen Letzteres zu. Auch „Sehen versus Tasten“ reiht der Autor nahtlos in die Argumentation ein: „Das Sehen, das uns die Geometrie abverlangt, setzt Wachheit voraus: Augen auf! Das Tasten hingegen evoziert nicht selten Dämmerzustände, die den Sehsinn suspendieren.“ (S. 123) Ein diesbezüglicher (anti-männlicher?) Argumentationsstrang hält sich bis ins Fazit, und es erstaunt nicht, dass der Text in einem Plädoyer für das Weiche, Tastbare und Responsive endet.
An das schier unerschöpfliche Thema „Licht“ wagt sich u.a. Martina Tritthart. Die visuelle Wahrnehmung ist bekanntlich stets an Licht und Schatten geknüpft. Sie lebt von Wechselwirkungen, Verstärkungen oder Reduktionen des Hellen und der Farben. Licht und sein Gegenteil verleihen Plastizität und modellieren den Raum. Soweit, so gut. Wird die Medientheorie tangiert, dürfen Hinweise auf die Zentralperspektive und die „Camera obscura“ nicht fehlen. Einen phänomenologischen Brückenschlag macht Tritthart mit August Schmarsow (1853-1936), verortet ihn in einer „Einfühlungsästhetik“ und springt beherzt ins 20. Jahrhundert zum „Spatial turn“, den sie als bestrebt einordnet, den „[…] kausalen Zusammenhang von Raum und Leib“ (S. 144) zu ventilieren. Gut gelungen sind die Übertragungen in die Praxis. Hier fällt der Abschnitt über James Turrell auf, der es in seinen Installationen schafft, die Raumwahrnehmung zu einem Gesamtkörpererlebnis werden zu lassen und die „Materialität des Lichtes“ (S. 147) hervorzuheben. Auch die Beschreibungen der Kunst des Olafur Eliasson machen neugierig; scheint er doch dazu begabt, die Zeit erlebbar zu machen. Die Ausdeutung von „Raum als Medium von Darstellung“ (S. 152) des Hartmut Böhme markiert Beginn wie Ende des Aufsatzes und ergänzt sich mit der Definition von Atmosphäre als räumlich, leiblicher Anwesenheit, die von dessen Bruder Gernot stammt.
Im vorliegenden Buch wechseln sich (zu …) kurze theoretische Aufsätze mit anschaulich bebilderten Praxisbeispielen ab. (Bau-)Künstlerische Forschung wird offensichtlich, und bislang als diffus eingeschätzte Wissensformen schließen sich zu nachvollziehbaren Ergebnissen (etwa „atmosphärischen Seismographen“ oder „Bibliotheken der Stimmungen“) zusammen. Sicherlich Garanten dafür, dass sich etliche zufriedene Leser unter interessierten Laien, Studenten und auch professionellen Raumgestaltern finden werden.
Erschienen: Faust-Kultur