Das „Ist“ …

By cjg on 4. Februar 2016 — 4 mins read

Der Schritt vom bloßen Vorstellen, vom intellektuellen Konstruieren zum Teilhaben am Wesen der Dinge soll heute angedeutet werden. Werkzeug zu sein und nicht Welt zum Werkzeug zu machen, ist die Leitidee hierzu. Wie kann es klappen, etwas zu schaffen, das durch uns spricht und nicht aus uns?

Liegt nicht schon im Wort ‚Schaffen‘ genügend missverständliches Potential? Deutet sich nicht hier schon an, dass es kein Wesen, sondern nur Bedeutung(en) gibt? Wie soll es gelingen, etwas zu beschreiben, zu deuten, das nicht ‘zu bedeuten’ braucht? Heidegger dazu: „…dass jedes Denken des Seins, alle Philosophie nie bestätigt werden kann durch die Tatsachen, d.h. durch das Seiende. Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord der Philosophie…“ (Heidegger: GA 65; S. 435).

Der Schlüssel, um das Wesenhafte zu berühren, liegt im Anderen der wie immer gearteten Verständlichmachung, die sich „…aus den Verstrickungen in die Wissenschafts-Begründung, in die Kulturdeutung, in die Weltanschauungsdienerschaft, in die Metaphysik als ihr eigenes erstes zum Unwesen ausgeartetes Wesen…“ (Ebd.) lösen muss. Der Schlüssel liegt vielmehr im Ereignen des Wesenhaften. Ereignen steht dabei im Unterschied etwa zum Vorfallen oder Stattfinden.

Das Gegenüber und Zusammenspiel von Sein und Seiendem ist für diese Deutung entscheidend, denn das Seyn (Heidegger-Schreibweise) eignet sich uns im Ereignis an. Das Seyn muss dazu in seiner Eigenheit anerkannt werden und bleibt dennoch gleichzeitig gebunden an das Seiende. Im Ereignis wird die Wesenhaftigkeit des Seienden deutlich. Das Ereignen gleicht einem Kampf. Dem Kampf zwischen Erde und Welt, Verborgenheit und Entdeckung, Dickicht und Lichtung. „…Welt ist irdisch (erdhaft), Erde ist welthaft. Erde ist in einer Hinsicht ursprünglicher als Natur, weil geschichtsbezogen. Welt ist höher als das nur Geschaffene, weil geschichtebildend und so dem Ereignis am nächsten…“ (Ebd., S. 275).

Am Beispiel der Kunst wird das sehr deutlich, denn hier wandelt oder verwandelt sich ein geformtes Stück Materie (im weitesten Sinne also Erde), indem es ein Wirkungsgefüge stiftet. Das Ruhende und Stille geht jetzt über ins Offene, schickt sich an, über sich hinaus zu gehen. Ein Kunstwerk ereignet sich. Hier kann auch eine Antwort liegen auf die Standardfrage: Was ist Kunst? Das Entscheidende liegt schon in der Frage und ist mit dem „Ist“ angesprochen. Es „ist“ und dieses Sein lässt im Heideggerschen Sinne das Entfalten eines Wirkungsgefüges, ein Ereignis zu – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Der Künstler wäre demnach ein Mittler, eine Art Medium. Durch die Vermittlung einer verborgenen und übermäßigen Wesenhaftigkeit ereignet sich das daseiende Kunstwerk in das Offene seines Wesens: „…Das Über-maß ist das Sichentziehen der Ausmessung, weil es erst den Streit und damit den Streitraum und alles Abständige entspringen lässt und offen hält…“ (Ebd., S. 249).

Der (Bau-) Künstler schafft kein Werk, sondern legt einen öffnenden Zugang. Er lässt die Wesenheit des Materials sich ereignen. Das geschieht gemeinhin als Entwurf, in dem nicht das Material im Sinne von Erfinden etwas Neues schafft, sondern vielmehr ein Ort bereitet wird, der in Bereitschaft zur Wirkung gerät. Dieser Ort kann bezogen sein auf ein einzelnes Material, einen Klang, einen Raum oder eine Folge von Räumen.

Der Entwurf zielt dabei auf einen „gefügehafter Wandel“, denn die Wesenhaftigkeit des Ereignisses ist stets ursprünglich verwiesen an das Sein des Seienden. „…Indem der Werfer entwirft, die Offenheit eröffnet, enthüllt sich durch die Eröffnung, dass er selbst der Geworfene ist und nichts leistet, als den Gegenschwung im Seyn aufzufangen, d.h. in diesen und somit in das Ereignis einzurücken und so erst er selbst, nämlich der Wahrer des geworfenen Entwurfs zu werden…“ (Heidegger: GA 65; S. 304).

Für manchen Baumeister kommt es vielleicht einer narzisstischen Kränkung gleich, nicht der geniale Kreateur zu sein. Trösten mag dann vielleicht, dass „es“ sich ohnehin nicht erzwingen lässt. Vielmehr sind wir heutzutage umstellt von Bauten, die ihre Kunst vergessen haben und verkümmerte Zeugen einer wesenlosen Zeit sind. Heideggers Diagnose einer Seinsvergessenheit erhält über diese blutarmen Architekturen ein stummes Bezeugen.

Manche Architekten allerdings sind diese „geworfenen Entwerfer“ im Heideggerschen Sinne. Lassen wir beispielsweise Peter Zumthor über ein Material sprechen: „…Und dann nehmen Sie diesen Stein in ganz kleinen Mengen oder in riesigen Mengen, er wird wieder anders. Und dann halten Sie ihn ins Licht, er wird nochmal anders. Bereits ein Material hat schon tausend Möglichkeiten…“ (Zumthor , Peter: Atmosphären; Basel/Boston/Berlin 2006, S. 25 bis 27).

Das Material selbst hat die Möglichkeiten. Sie werden nicht ins Material gelegt, etwa durch persönliches Wünschen oder Vorstellen. Material und Mensch treten in einem Wirkungsgefüge aufeinander zu und im besten Falle ereignet sich ein „gefügehafter Wandel“, der einen Wirkungsraum erzeugt.

Das Potential zu einem solchen Wandel ist jedem Material zu Eigen, denn sie alle durchwebt ihr Sein. Verschiedene Einzelsphären können auch zur Wechselwirkung gebracht werden: „…Es gibt eine kritische Nähe der Materialien zueinander, die ist abhängig vom Material selber und vom Gewicht, das es hat. Und Sie können Materialien in einem Bauwerk zusammenbringen. Da gibt es einen Punkt, wo sie zu weit weg sind, dann schwingen sie nicht miteinander, und dann gibt es einen Punkt, wo sie zu eng sind, und dann sind sie tot…“ (Ebd.)

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt