Es wird in der Folge versucht, das Denken Friedrich Nietzsches zu bemühen. Geradezu genealogisch gerät das Ganze, wenn es mit Heidegger passiert. Für die Performanz-Thematik soll einstweilen der Band 47 der Gesamtausgabe (Frankfurt am Main 1989) reichen, der den Titel trägt: „Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als Erkenntnis“.
Voller architektonischer Metaphern ist das Werk Nietzsches sehr anschaulich zu lesen. Es verbinden sich darin die wesentlichsten Elemente der stringent auf die Kunst fokussierten Beschreibung einer Art von Dreieck, das sich aus Wahrnehmung, Ding und Welt bildet. Wie so oft, hinkt der Vergleich ein wenig. Aber an diesem Hinken wird auch einiges deutlich. Begriffe taugen nur, wenn sie metaphorisches Potential haben, meine ich. Sobald sie zur systemischen Form erstarren, geht ihnen die Lebendigkeit verloren und mit ihr die Relevanz.
Das Bild des Dreiecks soll lebendig werden. Es umschließt den Menschen und seine Linien stehen (liegen) für die Kunst. Kunst steht aber niemals. Entlang an den Linien arbeitet man sich ab, ist dabei in Bewegung. Die Linien sind nicht homogen, sie sind zerfasert, gehen auf und ab, zittern, wölben sich aus, sind Schnüren im Wind vergleichbar, die wild hin und her fliegen. Sie fliegen genauso wie das Dreieck selbst. Mit dem Dreieck fliegen auch die Themen Wahrnehmung, Ding und Welt. Stellen wir uns das Nietzscheanische Dreieck lieber als Segel vor und gehen hinaus in die nächste Dimension.
Der Wind bleibt das Unsichtbare und zeigt uns, dass auf die Augen allein noch nie Verlass war. Wir hören ihn, er zerrt an unseren Haaren, er treibt uns die Tränen ins Gesicht und peitscht zuweilen gegen die Haut. Er bestimmt uns, kann zart streicheln und hart schlagen und ist doch nur zu sehen, durch etwas anderes, als er selbst ist. Er ist über- oder vordimensional. Er braucht die Segel, die die Menschen machen, er braucht die Tränen im Auge und die Wolken, die er vor sich her treibt. Er braucht die Blätter, die uns im warmen Sommer mit ihrem Rauschen sanft und weit werden lassen. Der Wind ist da, er ist mächtig, ist mal mehr, mal weniger verborgen.
So sollte das oben beschriebene Nietzscheanische Dreieck verstanden werden. Das ist die Basis, auf der auch Performanz passieren kann, denn nur durch einen Leib ist ein Mensch und auch das andere, als das Menschliche. Leib hält den Zugang bereit zur Welt, zum Leben: „…Leben, das ist das Seiende im Ganzen und im besonderen das menschliche Leben ist Lebens-Steigerung (…) Steigerung meint nicht Ausdehnung, sondern gefügehafte Wandlung; das Über-sich-hinaus, ein Sichöffnen zu einem Höheren seiner selbst und somit die Wandlung des absolut Gegebenen…“ (a.a.O., S. 29/30).
Bleiben wir eine Weile beim wunderbaren Bild einer Lebens-Steigerung als „gefügehafter Wandlung“ und nehmen wir den Menschen als Baumeister, „…dem auf beweglichen Fundamenten und gleichsam auf fliessendem Wasser das Aufthürmen eines unendlich complicirten Begriffsdomes gelingt…“ (Nietzsche: KSA 1; S. 875).
Sehen wir diesen ‘Baumeister mit Wasser’ selbst als gebildet durch das „Nietzsche-Dreieck“, das sich windet, dreht und bewegt durch das Über- und Vordimensionale des Lebendigen selbst. Diesen Baumeister, der sich Wahrnehmung, Ding und Welt stets erkämpfen muss, der über die eigene Leiblichkeit an seine hochbewegte Perspektive verwiesen ist und dieselbe nur zur Ruhe bringen kann, indem er sich abwendet vom Horizont und den Blick in die Hermetik lenkt, in das Gestorbene, in das fast Vergessene seiner selbst.
„Gefügehafte Wandlung“ meint aber noch mehr. Sie passiert bauend und bindet über Perspektiven Leib und Welt zusammen. Diese Perspektiven gleichen dabei keinesfalls den gängigen Vorstellungen einer geometrisch durchkonstruierten Zentralperspektive, sondern schwanken, stürzen und bäumen sich auf: „…freilich, um auf solchen Fundamenten Halt zu finden, muss es ein Bau, wie aus Spinnefäden sein, so zart, um von der Welle mit fortgetragen, so fest, um nicht von dem Winde auseinander geblasen zu werden…“.(Ebd.)
Die Wandlung geschieht durch Setzen im hochbewegten Gefüge. Es geht um das Setzen, um den Willen dazu, um die Handlung dort hin. Es geht um das Werden, das immer Wandel ist. Das Werden, das Neues schafft. Performanz ist nach Nietzsche also quasi die normale Verkehrsform eines jeden Menschen. Es geht im Kern aber auch um die Poesie im Sinne von „poiesis“, wie Heidegger sehr schön betont: „…Es (das bauende Denken, CJG) beruft und stützt sich nicht auf Gegebenes, ist keine Angleichung, sondern jenes, was sich uns ankündigte als der dichtende Charakter der Horizontsetzung innerhalb einer Perspektive…“ (Heidegger: GA 47; S. 254)
„Gefügehafte Wandlung“ meint also Verwobenheit, meint „Dasein in“, meint Bauen aus Etwas und nicht Konstruieren im Nichts. Leib und Gedanke gehören darin untrennbar zusammen: „…vielleicht ist dieser Leib, wie er leibt und lebt, das Gewisseste an uns – gewisser als Seele und Geist…“ (Ebd., S. 152). Ich möchte Nietzsche und Heidegger hier auch lesen für eine “Baukunst als Performanz”, die sich ab- und hinaushebt aus den end- wie fruchtlosen Debatten einer missverstanden, rein verbalen Mitbestimmungskultur und einlässt auf einen Möglichkeitenraum, der zwar unergründlich, tief, gefährlich und angsteinflößend sein kann, aber dennoch die einzig gerechte Weise ist für den schwankenden, stürzenden, dichtenden ‘Baumeister mit Wasser und Fäden’.