Lässt eine Idee sich bauen? Vorübergelegt wurde bei der Beantwortung der Frage, dass die Idee unmittelbar mit Bewegung zu tun hat und dass die Möglichkeit als solche zwar den Wandel birgt, aber gleichzeitig auf sein anderes, seinen soliden Antipoden, seine Erstarrung verweist.
Nirgendwo wird die Struktur der Idee deutlicher als in der Musik. Ich spreche hier vor allem von Beethoven. Viele berufene Menschen haben sich mit dem Werk dieses Ausnahmekomponisten befasst. Sie alle zu würdigen, ist in diesem Rahmen unmöglich. Heute will ich mir aber erlauben, einige Gedanken aufzunehmen, die ich von Martin Kaltenecker und Johannes Picht habe.
In „Musikalische Zuschreibung als hermeneutischer Putsch“ (Musik&Ästhetik 45, S. 53 ff.) wird von Kaltenecker der Unterschied verdeutlicht zwischen musikalischer Form als strukturhaft und eingebettet in Kontexte (etwa einer Sinfonie) und der Körperlichkeit, der Materialität des Klangs, der uns Menschen trifft und anregt. Moderne Musik lebt von der Konfrontation dieser beiden Darstellungsweisen. Das zeigt sich auch im Unterscheid von Hinhören und Folgen einer Ordnung und Struktur (ganz apollinisch) im Gegensatz zum emotionalen Aufnehmen und Wahrnehmen modernerer Musiken, das den (etwa dionysischen) Raum offen lässt für die eigenen Welten, die ins Tongerüst gelegt werden. Auf unser Eingangsproblem möchte ich von hier weisen, wenn ich frage, ob Architektur erst dann die Idee als Bewegung nicht nur bergen sondern ermöglichen kann, wenn sie keiner Ordnung und Struktur folgt, sondern das moderne Wahnnehmen im Sinne einer „atmosphärischen Hermeneutik“ erlaubt.
Johannes Picht parallelisiert in „Beethoven und die Krise des Subjekts – des weiteren“ (a.a.O. S. 5 ff.) entlang der „Hammerklaviersonate“ den Komponisten mit der Philosophie Friedrich Nietzsches. Durchaus schlüssig legt er dar, dass „…die Denkfigur des Subjekts selbst als zeitenthobener Identität eine Illusion ist…“. So wunderbar, wie es nur ein Musikwissenschaftler kann, schildert er die radikalen Brüche in der Komposition der Sonate. Hier nur einige Auszüge: Beethoven tastet sich wiederholt heran an die Grenze zwischen „musikalischer Sprachlichkeit und kaum strukturiertem Geräusch“. Er transformiert mit „triebhafter Gewalt“, um mit „einem tändelnden, echohaften Pianissimo (im nächsten Moment so zu tun, CJG), als sei nichts geschehen“.
Des Pudelns Kern für unsere Fragestellung liegt woanders. Die Hinwendung zum Rauschhaften, Körperlichen und gleichzeitige Abkehr vom Entrückten, Vergeistigten und Kontemplativen der Struktur wird im Werk Beethovens erkannt. Dionysos drängt Apollon in den Hintergrund. Die Musik Beethovens will „ein Aufbrechen…in die Offenheit der Zukunft“. Hierzu muss er „…eine Musik entwerfen, die zu den Strukturen, aus denen sie im jeweiligen Moment besteht, eine immer wieder aufweisbare Distanz herstellt…“.
Wiederum auf unser Eingangsproblem gewiesen, möchte ich mit einer Art „Beethoven-Architekturtheorie“ fragen, wie eine Architektur das Dilemma ihrer Statik, ihrer Solidität überwinden können soll? Denn das müsste sie, wenn die Vorüberlegung gelten soll, dass Idee und Bewegung zusammen gehören. Das müsste sie ebenfalls, wenn dem Gedanken Raum gegeben wird, dass Struktur nur dann ideenhaft bleibt, wenn sie zu sich selbst in eine Distanz gerät.
Zum Schluss des zweiten Teils der Überlegung noch ein passenden Fundstück aus „manager-magazin.de“. Thom Mayne, der „Bad Boy der amerikanischen Architektur“ äußert sich auf die Frage, was ihm am meisten Spaß macht an seinem Beruf: „…Es macht mir Spaß mit Problemen umzugehen, für die es keine Lösung zu geben scheint. Am Anfang eines Projektes geht es nicht darum, wie etwas aussehen soll. Es geht um Lösungen oder manchmal sogar darum, wie man an eine Fragestellung herangeht. Architektur beginnt mit Fragen und ist konstante Infragestellung…”
Ob Herr Mayne Beethoven hört…?