Die nackte Präsenz …

By cjg on 27. Februar 2016 — 1 min read

MP: „…Welt (…) als universaler Stil jeder möglichen Wahrnehmung…“ (34)

G: Nehmen wir Merleau-Ponty beim Wort. Dieses Wort nämlich kann den Weg weisen für eine dichterische Architektur. Wenn das Wohnen ein Wesenszug des Dichtens ist und umgekehrt das Dichten in seinem Durchwalten des öffnenden Zwischen den Menschen bauend auf der Erde hält, dann sollte sich Baukunst als eben dieses öffnende Zwischen begreifen.

G: Es ginge in einer solchen Baukunst um die Möglichkeit; es ginge in ihr um Unklarheit im Ganzen, die die temporäre Klarheit des Teiles erst entstehen lässt; es ginge in ihr darum, zum Wohnen zu kommen – selbst dazu zu kommen. Es ginge um Ermunterung, um Ent-deckung.

N: „…Lessing sah zu scharf und verlor dabei das Gefühl des undeutlichen Ganzen, die magische Anschauung der Gegenstände zusammen in mannigfaltiger Erleuchtung und Verdunkelung…“ (326)

G: Das Bauen bliebe auch beim fertigen „Produkt“ ein Weiter-Bauen. Es bliebe ein Angebot. Es wäre dem Menschen gleich, indem es zur Teilhabe einlüde am verbindenden Wesenszug des Entwerfens. Es ermöglichte Wahrnehmung und damit den schöpferischen Zugang zur Welt – zum in der Welt sein.

N: „…zur Welt brauchen wir den Entwurf – dieser Entwurf sind wir selbst …“(329)

G: Architektur kann ihr dichterisches Potential dann entfalten, wenn sie zum Angebot wird, wenn sie einlädt zum Perspektiven-Werfen, wenn sie darauf verzichtet, selbst die bestimmende Perspektive vorzugeben.

G: Das öffnende Zwischen ist die lebendige „Sphäre“, ist ein Ganzes im steten Wandel. Mit der Wahrnehmung haben wir den Zustand, der das Ding „umgibt“, der es uns erscheinen lässt. Wir haben das Wahrzunehmende dann in seiner nackten Präsenz; wir haben es weit vor dem, was eine spätere Begriffsarbeit uns gibt.

MP: „…Die Wahrnehmung wird hier verstanden als Bezugnahme auf ein Ganzes, das prinzipiell nur durch bestimmte seiner Teile oder Aspekte erfassbar ist…“ (32/33)

G: Eine Dichtung könnte die Architektur uns werden, wenn sie sich als Ermöglicherin dessen begriffe, *dass* etwas da ist, auf das reagiert werden kann.

N: „…Das Leben oder das Wesen des Geistes besteht also in Zugang, Gebährung und Entzug seines Gleichen…“ (329)

(N: Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrichs von Hardenberg, Band 2, Darmstadt 1978)
(MP: Maurice Merleau-Ponty: Das Primat der Wahrnehmung, Frankfurt am Main 2003)

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt