Die „poetische Provokation“ in der Trias „Existenz-Wahrnehmung-Erscheinung“ sollte noch näher abgesteckt werden. Das Abstecken gleicht dabei einem weiträumigen und großzügigen Einhegen, denn nicht gefasst soll etwas werden, sondern bestenfalls beleuchtet. Es gilt also, mit der Schwierigkeit umzugehen, über etwas zu sprechen, ohne es dabei all seiner Möglichkeiten zu berauben. Etwas erklären also, ohne es festzulegen.
Es genügt hierfür nicht mehr, die „einfache Differenz“ prägend sein zu lassen. Eine neue Differenz muss her. Eine, die deutlich umfassender ist. Eine, die vielleicht gar nicht mehr Differenz heißt. Eine, die einer Dimension (freilich nicht euklidisch!) gleicht, in der das wirken kann, was Differenz als solche durchherrscht.
Diese würde sich nicht damit begnügen, ein Sprechen neben das andere zu stellen. Sie begnügte sich ebenfalls nicht damit, die Multiperspektivität als Endziel und letzte Bastion menschlichen Erkennens zu reklamieren. Sie begnügte sich auch nicht mit einer Totgeburt namens „Anything Goes“. Vielmehr muss ein “Sowohl als auch” zum Träger eines grundlegenden Unterscheidens werden.
Eine Lektion von Hegel scheint geeignet, in diese neue Differenz zu weisen – nämlich, dass eine Erscheinung zu jedem Etwas gehört und dass diese Erscheinung STETS das Andere seines Selbst ist. Dass ferner dieses jeweils UNENDLICH Andere den Wesenszug eines Etwas trägt, dass also das Etwas durch sein Anders-sein in seiner Existenz fassbar wird. Etwas existiert also nur durch die Unterscheidung, durch die Trennung von sich selbst. Diese Trennung ist dabei sein Wesenszug.
Die Erfahrung des Existierens ist wie eine Leihgabe. Geliehen von der Wahrnehmung der Anderen. Der Leihakt geschieht mit dem Mittel eines weiteren Anderen. Doppeltes Anderes. In der Existenz sich selbst STETS fremd und vom Fremden umstellt. Hier kann man soweit gehen anzunehmen, dass Bewusstsein nur außerhalb von Etwas existiert. Dass wir unsere Bewusstheit in eine Dimension projizieren, die außerhalb von uns liegt.
Nehmen wir eine Ausstellung, die derzeit im Berliner Gropiusbau läuft. „Innen Stadt Außen“ thematisiert diese Erfahrungen einer umgebenden, nicht-euklidischen Dimensionalität, eines existenzialen Leihaktes, der sich durch Wahrnehmung manifestiert. Auch die Wichtigkeit einer Matrix, einer dritten Ebene, einer Projektionsfläche wird deutlich.
De-Kontextualisierung ist z.B. das leibliche Zaubermittel, das den Besucher die Härte der obligatorischen Granit-Gehwegplatten erst im musealen Kontext ge-hören lässt. Eine Adaption des Höhlengleichnisses er-möglicht das Eigene durch das Andere des Schattens auf der Wand zu begreifen. Ein Blick aus dem Fenster gerät zur Innenschau, nachdem der übergroße Spiegel an der Fassade erkannt ist. Aus einem Nebel schälen sich langsam Konturen und verschwinden wieder.
Diese nebulösen Übertritte eines Anderen in die Wahrnehmung machen die Leihgabe als Verkehrsform des Menschen sehr deutlich. Übertritte sind nur durch das Andere möglich. Der Nebel spricht für die weitgehendste Art davon. Er füllt ein Zwischen. Dieses Zwischen bleibt leer. Er ist da und gleichzeitig unbeschrieben. Der Nebel er-möglicht dem Anderen dessen Erscheinung quasi in Zeitlupe. Er verbindet durch eine Leere, die gleichzeitig Fülle ist. Das Verschwinden des Anderen wird deutlich durch seinen Übertritt. Es ist schon vorher da, jedoch noch-nicht im Anderen durch sein Anderes.