Die Skala der Stille …

By cjg on 24. Januar 2016 — 2 mins read

Barbara Naumann parallelisiert in ihrem Essay: „Kopflastige Rhythmen. Tanz ums Subjekt bei Schelling und Cunningham” (Naumann, Barbara (Hg.): Rhythmus. Spuren eines Wechselspiels in Künsten und Wissenschaften; Würzburg 2005, S. 123-139) den modernen Tanz mit dem deutschen Idealismus. (Dem zum Sprung in den Avantgardetanz geneigten Leser muss ich allerdings einstweilen vertrösten, denn mir soll es hier zunächst reichen, die Darstellung zur Bedeutung des Rhythmus aufzuzeigen).

Bei Schelling ist die Zeit die Form der Einbildung des Unendlichen ins Endliche. Sie prägt das Subjekthafte und ist damit auch die Ermöglicherin von Kunstwahrnehmung überhaupt ist. Die Verwandlung von zufälliger „Succession“ in „Nothwendigkeit“ allerdings übernimmt der Rhythmus. Hier knüpft Barbara Naumann an, indem sie denselben mit dem Absoluten in Verbindung bringt und dem bewusstlosen Milieu des Unendlichen eine innere Gestaltungskraft zuschreibt. Das bewusste Subjekt hat daran ebenfalls Teil und kann sich des Absoluten in diesem Phänomen gewahr werden.

Teilhabe ist der Schlüsselbegriff hierbei, denn das sich selbst bewusste Subjekt pendelt im rhythmischen Handeln (Musik, Gesang, Dichtung, Baukunst etc.) im Zwischen zum bewusstlosen Absoluten und Unendlichen. Im Handeln am Beispiel der Kunst kommt das Subjekt über sein „schweigendes Pendant“ zu sich selbst. Das rhythmische Moment ist quasi der entstehend-vergehende Raum im Übergang vom Unendlichen ins Endliche.

Auch Ingrid Allwardt befasst sich in ihrem Essay: „Hölderlins Diotima in Nonos Streichquartett“ (Musik & Ästhetik, Heft 51, Stuttgart 2009, S. 129-140) mit dem Zwischen, das entsteht durch das Abwesend-Anwesende im Erscheinen des Kunstmoments. Die Autorin hat es dabei geschafft, im Text über den Text hinaus zu kommen. Mit poetischem Gespür ermöglicht sie nämlich die lesende Erfahrung des vermeindlich Paradoxalen in einer Musik, die sich über das Nicht ihrer Selbst grenzenlos macht – einer Musik also, die sich mit dem Mittel des Rhythmus quasi auf den Weg zurück begibt in die bloße „Succession“ des Unendlichen.

Idealistisches Denken erscheint hier mit umgekehrten Vorzeichen, denn während das Verweisen des rhythmischen Prinzips bei Babara Naumann (s.o.) primär das Setzende in Form von Material, Ton etc. fokussierte, hat bei Ingrid Allwardt das bewusste Subjekt Teil am unbewussten Absoluten durch das gliedernde Erwarten und Walten seiner Abwesenheit. Hier ist also das Nicht das primäre Prinzip, das das Etwas deutlich macht. Beiden Erfahrungsweisen gleich ist jedoch der Zugang durch den Rhythmus; er erhält sich ganz Schellingsch als universelles Element: „…in dieser Haltung ist das Wahrnehmen von Stille ebenso wie das Wahrnehmen eines Klangs ein sinnliches Zeitempfinden, in dem Innen und Außen zusammenfallen, Subjekt und Objekt als Gegensätze ineins fallen…“ (Ebd.)

Das „Aussetzen von“ und das „Nicht des“ verweisen in Luigi Nonos Streichquartett in einen Zustand, der „…schweigende Gesänge…“ (Ebd.) möglich macht und der „…eine Skala der Stille…“ (Ebd.) bereithält. Hier ist das Subjekt also konfrontiert mit einem bedingenden Etwas, das nicht es selbst ist.

Hat ein moderner Komponist sich an diesem Bespiel als akustischer Archäologe geübt und ein Denken hörbar gemacht, das längst vergangen ist? Hat ein moderner Komponist die Wahrheit berührt? Hat ein moderner Komponist basale Erfahrungen verdeutlicht, die unabhängig von Zeitalter und Kultur sind? Hat ein moderner Komponist den Beweis geliefert für die Schellingsche Kunstphilosophie?

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt