Fragmente 79-112 …

By cjg on 20. Februar 2016 — 3 mins read

79. Es reichte ihm der Anschlag einer einzigen Taste auf dem Klavier und er hatte alle Phasen des werdend-verklingenden Da-Seins vor Augen

80. An die Selbstdrücker: Hab ich viel zu tun heute, wurde sie nicht müde zu betonen, als sie nach dem dritten Kaffee kurz die Zeitung senkte

81. Ein Jammer, er war so putzig, dachte sie, während sie den toten Wellensittich der Kinder zerteilte, um ihn durch die Klospülung zu kriegen

82. Hätte ich doch nur nicht so viele Erwartungen, dachte er, als er sich enthusiastisch auf den Weg zur nächsten Enttäuschung machte…

83. Vergehende Sterne: Für ihr Alter war sie zu stolz, daher schmerzte es sie immer mehr, erhobenen Hauptes an den Bewunderern vorbeizuschreiten

84. An die Stoiker: ihre unbedarfte Natur half ihr auch dieses Mal, dem unerwarteten Schub negativer Energie mit Gleichmut zu begegnen…

85. Ist der Zweifel der schlecht erzogene Bruder der Möglichkeit?

86. Missverständnisse: Sie aß und aß, aber das Abnehmen wollte einfach nicht klappen…

87. An die Selbstängstlichen: Sorge machte ihr vor allem, dass sie langsam die Fähigkeit verlor, sich etwas vorzumachen…

88. An die Physiognomiker: Langsam lastete die Ernsthaftigkeit in ihrem Gesicht immer stärker. Sie bekam davon sogar Muskelkater im Kiefer…

89. An die Unbändigen: Sein Freiheitsdrang war mittlerweile so mächtig geworden, dass er sogar die Bedeutung einer Tasse nicht mehr akzeptierte

90. Ein Ausweg schien ihn zu sein, mit dem Sprechen aufzuhören. Würde sich dann das Deuten verlieren? Würde sich dann das Eigentliche zeigen?

91. Sie begriff schlagartig, dass ihre Offenheit entwaffnend war. Sie begriff ebenfalls, dass sie sich die ganze Zeit im Kriegszustand befand

92. Wie eine Welle wollte er sein Haus, in ständiger Veränderung sollte es sein. Alles war ihm ganz klar – nur der Architekt verstand kein Wort

93. Die Welt als Setzkasten: Er würde stets auf den schmalen Graten der Trennwände balancieren und den Abstieg ins Gestell tunlichst vermeiden

94. An die Perspektivenüberschreiter: Aus dem Flugzeug betrachtet, sah er die andere Gestalt des Schnees. Sie glich eher endlos langen Fäden…

95. An die Maß-Tester: Sie war noch zu unerfahren, ging es ihm durch den Kopf, als er ihr etwas zu deutliches Blicken bemerkte…

96. Eines Tages fragte sie sich, wann sie begonnen hatte, die Wäscheklammern auf dem Ständer nach Farben sortiert in Linie auszurichten…

97. Sie schwangen beim ersten Treffen dermaßen auf einer Welle, dass auch schon das Ende der möglichen Beziehung sich schmerzlich abzeichnete

98. Lange würde sie ihn nicht mehr verstecken können, dachte sie und verbarg wie jeden Tag ihren dritten Arm sorgfältig unter dem Pullover…

99. An die Tiefen: Sie war etwas Besonderes, denn ihre Würde hatte keine Nähe zum Stolz, sondern eher zum Geheimnis…

100. U-Bahn-Reiher: Ihre Beine wirkten wie überlange, dünne Stelzen, die stumpf in dem zu schmal geratenen Becken steckten…

101. U-Bahn-Ohrenkrieger: Der kreischende Sound aus den Kopfhörern seines MP3-Players umgab ihn wie ein Verteidigungswall…

102. Manchmal scheint es, dass auch lange Freundschaften nur gedehnte Irrtümer sind. Das spricht etwas über den Grad der Erwartung…

103. Schauspielerplagen: Desinteresse zu signalisieren, stengte sie zunehmend an und auch, das Weggucken nicht wie Blickstarre wirken zu lassen.

104. Den Selbst-Befreiten: Mittlerweile genoss sie es, ihre Gesprächspartner mit hinabzuziehen in die teils lähmende Tiefe ihrer Gedanken…

105. An die De-konstrukteure: Sie forderte vom Gegenüber die gleiche Bereitschaft zur Selbstwiderlegung, die ihr seit einiger Zeit zu eigen war

106. An die Sirenen: Als sie deren Wirkung bemerkte, bemühte sie sich, ihre Stimme noch tiefer, gedehnter und schwebender klingen zu lassen

107. An die Skeptiker: Manchmal passierte es, dass ihm etwas ganz plausibel erschien. Sein Widerstand wuchs daran stets ins Unermessliche…

108. An die Ohn-mächtigen: Sie konnte es nicht fassen und dennoch, sie wollte belogen werden. Dann erst fühlte sie sich besser – kurz jedenfalls

109. Wie üblich wurde sie von ihm mit Berührungen markiert, wenn ein anderer Mann in der Nähe war. Es wurde ihr von Mal zu Mal unangenehmer…

110. Der Wille wächst am Widerstand. So beschloss er eines Tages, kein Mensch mehr zu sein…

111. Die ganze Gewalt ihrer Freude ängstigte sie. Schon mit einer sehr zurückhaltend wirkenden Geste war sie mehr als beschäftigt…

112. Mit 26 Buchstaben kann die Sprache eine unendliche Anzahl Sätze bilden. Das hielt ihn einstweilen davon ab, mit dem Sprechen aufzuhören…

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt