Lethargische Lektionen …

By cjg on 28. Januar 2016 — 2 mins read

Vergangenen Freitag gab es Gelegenheit, John Cages Stück „Variations VII“ im Berliner Radialsystem zu (…) erleben, müsste man wohl sagen, denn „zu hören“ würde zu kurz greifen. Nicht jede Veranstaltung ist es wert, das man über sie schreibt, aber diese schon, denn es wurde nichts Geringeres angekündigt, als eine Metamorphose. Eine nämlich, in der ein architektonischer Raum in einen Frequenzraum umgewandelt werden sollte.

Das „Prelude“ zur Veranstaltung führte einen in die „Lounge“. In der wiederum begann man mit schönem Blick auf die Spree, diversen Geräuschen zu lauschen, die simultan und in Echtzeit von verschiedensten Orten aus der Stadt übertragen wurden. Die Moral von der Geschicht hatte man allerdings schon nach zwei Minuten gelernt und begriffen, dass ein durch Alltagsgeräusche wie Restaurantgeplapper, Tierlaute, Druckmaschinen, Wasserfließen etc. erzeugtes Hintergrundrauschen unser täglich-akustisch Brot ist.

Im „Prelude“ wurde also genau dieses unscheinbare und doch dominante Geräuschgeflecht einem erwartungsgeschwängerten Publikum zum Thema gemacht. Interessant war dabei, dass ein Hintergrundrauschen immer mit seinem speziellen Ort und der jeweiligen Situation verbunden sein muss. Weil das nämlich nicht so war, wirkte der Geräuschteppich zwar vertraut, aber gleichzeitig unpassend und artifiziell.

So weit, so gut. Warum muss aber nun solche Lektion eine knappe Stunde andauern? Anstatt einer Dichte zu lauschen, der jede Form fehlt, die ohne Bezug ist zur momentanen leiblichen Präsenz, die ohne Anfang und ohne Ende belanglos dahin wabert, hätte man doch einfach nur ohne künstliche Beschallung die Ohren aufsperren können und dem Sound der anderen Besucher seinen Raum lassen. Das wäre auch ganz in Sinne von Cage gewesen ( „4/33“… )

Dermaßen vorbereitet, begab man sich zum Hauptstück „Variations VII“. Allerhand Küchengeräte, Werkzeugmaschinen, Fernseher, Telefone, Computer, Keyboards und Mischpulte in verschiedensten Ausführungen waren auf Tischen drapiert, die im Zentrum der Aufführungshalle ein geräumiges Quadrat beschrieben. Diese „Altarsituation“ wurde noch zusätzlich sakral verstärkt durch eine St. Peter-ähnliche Baldachinvariation, die sich durch ein über der Vierung schwebendes, stattliches Signalhorn ergab. Vier Musiker oder besser Performer bewegten sich in diesem Konstrukt und taten ihr bestes.

Ihr bestes tun hieß in diesem Fall, leistungsstarken Boxen, die in allen vier Ecken der Halle postiert waren das Maximum abzufordern. Wenn man sich beim „Prelude“ noch beklagen konnte über eine Dichte ohne Form, so bekam man hier Dichte und Form in einer Weise, die einem einiges abverlangte. Mit einer an- und abschwellenden und nicht enden wollenden Schall-Bombardierung machte man dem Zuhörer klar, dass Hören etwas ist, das mit dem ganzen Körper geschieht.

Interessant waren die Reaktionen der anderen Besucher. Sich denen zuzuwenden, lenkte einen nämlich ab von den eigenen Bemühungen, etwas aus dieser stressenden Darbietung mitzunehmen, die doch streckenweise mehr an städtischen Baulärm erinnerte, denn an eine „ästhetische Verwendung metropolitaner Klänge“. Teilweise also dicht an der Grenze zur Hysterie und mit der aufdämmernden Frage befasst: „Was mache ich hier eigentlich?“, verfiel man in eine Art Lethargie und ließ es einfach geschehen.

Vielleicht, so hab ich mich gefragt, ist das die eigentliche Lektion der „Variations VII“ gewesen. Wir Heutigen sind dermaßen versponnen im technischen Konstrukt, sind dermaßen Teil des durch Heidegger meisterhaft beschriebenen „Gestells“, dass diese Darbietung genau jenen ohnmächtigen Zustand mit akustischen Mittel dar-gestellt (!) hat. Der dröhnende, lärmende Sound wäre dann einer technoiden Sprache gleich, die Menschen nicht verstehen können und als Ausweg aus dieser Konfrontation bliebe die ebenfalls bei Heidegger zu findende Gelassenheit.

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt