Maschinenwelten und Mesoebenen …

By cjg on 1. Februar 2016 — 2 mins read

Zweifellos faszinierend, aber nicht unbedingt in der beabsichtigten Deutung dieser Reihe ist das Themenheft Nr. 188 der sehr geschätzten Zeitung „Arch+“ mit dem Titel „Form Follows Performance“ vom Juli 2008. Offenbar als Art Werkschau von Forschungen der Londoner „Architectural Association“ gemeint, wird die Performanz hier als Art Fortsetzung der Mathematik mit dem Mittel der modernen Computertechnologien gesehen.

„Zu Beginn heißt es: „…Eine Architektur, die aus dem Werden das Verhalten und aus dem Verhalten das Sein ableitet, ist eine Architektur der Wechselwirkungen aus Form, Material, Struktur und Umwelt. Eine performative Architektur…“ (Ebd., S. 17).. Merkwürdig scheint mir, dass in dieser sonst trefflichen Definition zwei wesentliche Themen fehlen, nämlich die Kunst und der Mensch. Und tatsächlich durchzieht dann auch das ganze Heft ein Glauben daran, dass das allgegenwärtige Stück Technik, das wir Computer nennen, mehr sei als nur ein Werkzeug.

In den vorgestellten Forschungen der „AA“ wird Performanz in einen Bezug zur Architektur gebracht, der Wechselwirkungen von Mikro- und Makroebene eines Stoffes nicht nur sichtbar macht, sondern erst ermöglicht. Mit Hilfe modernster 3D–CAD/CAM-Rechentechnik können strukturelle Eigenschaften eines Stoffes aus seinen „mikroskopischen Eingeweiden“ ausgelesen werden und übertragen in ein konstruktives Prinzip, das in die reale Umwelt eingebaut wird.

In Exkursen zur Biologie, Bionik und zu „Organikern“ wie Frei Otto versucht man, eine Theorie der Materialsysteme zu fundieren: „…Ein Materialsystem ist demnach vereinfacht ausgedrückt, ein auf die Mesoebene (als Verbindungsglied zwischen Mikro- und Makroebene, CJG) skaliertes, aus vielen Elementen bestehendes, komplexes Materialgefüge, dessen spezifische raumbildende, kräfteleitende und klimamodulierende Eigenschaften aus der Differenzierung der Systemmorphologie entspringen…“ (Ebd., S. 18).

Der Mensch scheint in den Entwurfsprozessen dieser „Meso-Architektur“ nicht mehr nötig zu sein, denn der Rechner arbeitet sich am reinen Material ab. Gleichsam in die Betrachterrolle verwiesen, gibt der Architekt nur noch die Randbedingungen vor und die Maschine findet durch ihre überragenden Rechenkünste die optimale Lösung von selbst. „Tragisch“ folgerichtig ist es da, dass die in den Artikeln hier und da aufkeimende Kritik an den Sackgassen des wissenschaftlichen Isolierens von Komplexität auf handhabbare Einzelphänomene die Londoner Forscher nicht über die Wissenschaft hinaus führt, sondern nur tiefer hinein, denn sie bleiben in einem bedingungslosen Glauben an das intellektuelle Konstrukt, in einem konstruktivistischen Idealismus verhaftet.

Eine Maschine, die die Welt in Nullen und Einsen zerlegt und die nach Schemata funktioniert, die sich Ingenieure und Mathematiker ausgedacht haben, ist aus meiner Sicht wenig geeignet, Menschen in performativen Akten in eine Baukunst zu integrieren. Zumal die Daten, Axiome und Theorien, mit denen die Maschine gefüttert wird, ebenfalls aus Annahmen, Logiken, Vorüberlegungen etc. bestehen und also einer Wissenschaftstradition folgen, deren Verkehrsform die Reduktion ist.

Wo bleibt bei diesem Performanz-Begriff das Schöpfen aus dem „In-der-Welt-sein“, das älter ist, als die Intelligenz? Wo bleibt der Mensch mit seiner gewärtigen Leiblichkeit? Wo bleibt das Handeln über das Spüren der Atmosphären?

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt