Schelling und die Neugeborenen …

By cjg on 12. Januar 2016 — 2 mins read

In „Spiegel Online“ war heute die Meldung zu lesen: „Neugeborene erkennen Rhythmen“. Der kurze Artikel macht mit der weit verbreiteten Meinung auf, dass Neugeborene Musik lieben und geht dann einen Schritt weiter, indem ein Forscherteam vorgestellt wird, das den Beweis hierfür in Form von Hirn-Aktivitätsmessungen aufstellen will. Die Vertreter der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest kommen zum Schluss: „…Das Hörsystem von Neugeborenen ist offensichtlich empfänglich für Periodizität und entwickelt Erwartungen darüber, wann ein Zyklus neu startet …“. So weit, so gut…

In der Musiktheorie, und Kompositionslehre wird der Rhythmus gemeinhin recht pragmatisch abgehandelt. Hier ein Beispiel von Heinz-Christian Schaper aus “Formenlehre compact”; Mainz 2006, S. 8: „…Rhythmus ist eine musikalische Qualität als Ergebnis des Wechsels von Spannung und Lösung, Bewegung und Ruhe…“. Die Musikphilosophie bzw.-ästhetik wird da schon interessanter. Heute möchte ich jedenfalls das Phänomen „Rhythmus“ mit Schelling anreißen.

In Schellings „Philosophie der Kunst“; unveränderter reprografischer Nachdruck von 1859; Darmstadt 1990 wird in den Paragraphen 76 bis 80 die Bedeutung des Rhythmus beleuchtet. Der Denker in der Frühromantik tänzelt, streng dialektisch natürlich, auf einem Drahtseil zwischen Raum und Klang. Zunächst wird eine Vorüberlegung gemacht: „…Jede der beiden Urformen (reale und ideale Reihe, CJG) nimmt alle anderen Formen oder Einheiten als Potenz auf und macht sie zu ihrem Symbol oder Besonderen…Diese (Form für sich, CJG) ist nur im Klang, denn dieser ist einerseits lebendig -für sich-, andererseits eine bloße Dimension in der Zeit aber nicht im Raume…“.

Hier macht Schelling zwar auf den Unterscheid zwischen körperlich-räumlich und geistig-klanglich aufmerksam, schlägt aber gleichzeitig die Brücke zu deren konstituierenden Beziehung, indem er die Kohärenz und die Sonorität der Körper untrennbar mit deren Klang verbindet.

In Paragraph 76 heißt es: „…Die Indifferenz der Einbildung des Unendlichen (ideale Reihe) ins Endliche (reale Reihe) rein als Indifferenz angenommen ist Klang…“. Die Beziehung zwischen Körper und Klang als indifferent, also vereint, ungetrennt zu sehen, bringt Schelling uns in der Folge dieses Paragraphen näher: „…Der Klang selbst ist nichts anderes als die Anschauung der Seele des Körpers selbst…“.

Das sichtbar werdende Wechselspiel, die Doppelnatur von allem und auch deren Abhängigkeiten kommen hier zum Ausdruck: „…Die Bedingung des Klangs ist Differenzierung des Begriffs und des Seyns, der Seele und des Leibs in dem Körper…“, soll heißen: sich manifestierende Unterschiede in reine Körper und sonst nichts, machen es möglich, deren idealer, geistiger Subtexte gewahr zu werden. Der Gedanke schließt, indem der Akt der Vereinigung von ideal und real als Klang vor sich geht.

Es ist daher doch wenig verwunderlich, dass Neugeborene Rhythmus so stark wahrnehmen, denn ein so junger Mensch wäre nach Schelling vielleicht selbst noch fast indifferent, wäre selbst noch fast Klang, wäre selbst noch fast Form an sich…

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt