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By cjg on 12. Februar 2016 — 2 mins read

G: Wittgensteins Bauen ist experimentell. Die Form steht vorher noch nicht fest. Er entwirft sie, ist dabei, sie zu finden – und lässt die Leser an seinen Entwürfen teilhaben. Auch an denen, die er wieder verwirft. Dieser Baumeister scheut sich nicht, seine ganze Lebendigkeit in den Entwurf zu legen. Er ringt mit sich. Mit der Welt ist er primär staunend verbunden. Er ist ein Spieler. Aber nicht einer, dem es um schnelle Regelbeherrschung geht oder darum, zu gewinnen. Nein, er spielt auf eine weisere, elementarere Weise.

N: „…Im Grunde ist das aesthetische Phänomen einfach; man habe nur die Fähigkeit, fortwährend ein lebendiges Spiel zu sehen und immerfort von Geisterschaaren umringt zu leben, so ist man Dichter…“ (a.a.O.; S.61)

G: Dieses ewige Spiel hatte Wittgenstein stets vor Augen. Auch ich möchte heute weiter spielen. Als dritten Gefährten hole ich Schelling dazu.

W: „…Wenn ich behaupte, „das ist die Regel“, so hat das nur solange Sinn als ich bestimmt habe wieviel Ausnahmen von der Regel ich maximal zulasse ohne die Regel umzustoßen…“ (a.a.O.; S. 123)

G: Etwas zu schaffen, zu kreieren, eine Form zu geben ist der (aller?) Menschen täglich Brot. Aber nur Manche wissen – und können mit dem Wissen leben, dass Formen nur Wünschen gleichen, dass die quasi flüssig sind. Manche Formen freilich gaukeln uns Beständigkeit vor. Dieser Bestand hat aber nur etwas damit zu tun, dass die eigene Lebensspanne zu kurz ist, den Verfall selbst zu erleben.

S: „…Aber wer kann in diesem lebendigen Ganzen das Einzelne sondern, ohne den Zusammenhang des Ganzen zu zerstören? Wie diese Dichtungen gleichsam als ein zarter Duft die Natur durch sich erblicken lassen, so wirken sie auch als ein Nebel, durch den wir die entfernte Zeit der Urwelt und einzelne große Gestalten erkennen, die sich auf ihrem dunklen Hintergrund bewegen…“ (a.a.O.; Band 5; S. 412/413)

G: Wittgenstein konnte den Duft der Dichtung des Ganzen nicht mehr aus der Nase bekommen. Er muss ihn schon früh gerochen haben in seinem Leben. Vor dem Nebel, der ihn umringte, scheute er sich nicht. Er brauchte ihn, er schärfte ihm die Augen zum wahren Sehen.

W: „…Man kann erst dann gut philosophieren, wenn der Krampf des Denkens gelöst ist…“ (a.a.O.; S. 120)

Zitate:
N: Friedrich Nietzsche: Kritische Studienausgabe, München 1999; Band 1
S: F.W.J. Schelling: Schelling Werke, Stuttgart 1856
W: Ludwig Wittgenstein: Wiener Ausgabe. Studientexte Band 1-5; Zweitausendeins-Ausgabe; Frankfurt am Main 1994

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt