Verströmungsstunde …

By cjg on 5. März 2016 — 2 mins read

G: Versucht werden müsste nun, das Andere in der Architektur auch vom Anderen her zu denken und möglicherweise sogar zu „provozieren“ – nicht also vom Raum oder Zimmer auszugehen, d.h. vom Da-Seienden, sondern vom „Zustand“, der das Da-Seiende erst möglich macht.

G: Lösen sollte sich der Architekt dazu vom eingeimpften Ingenieurdenken. Lösen sollte er sich vom Konstruieren und auch vom Glauben an die Kausalitäten. Befreien müsste er sich aus dem Gestrüpp der Regeln, die ihn stets zum Zirkelschluss, zur selbsterfüllenden Prophezeiung der bekannten Dinge, zur Logik und zur Wiederholung von „Bewährtem“ führen. All das sind Sekundärtugenden. Sie taugen nicht dazu, das Andere des Bauens in den Blick zu nehmen.

S: „…Ein solcher Gesamtblick auf das Öffnungs-Ereignis ist nicht nach diskursiven Regeln zu erlernen und in akademischen Situationen zu verankern. Es gehört seiner Natur nach eher in den Bereich der Stimmungen als den der Aussagen…“ (142/143)

G: Das Andere bleibt rätselhaft, wenngleich be-stimmend. Es stellt sich als prägendes und unsichtbares Gegenüber, als anwesend-abwesende Kondition dar. Baukunst als Möglichkeit gefasst wäre, den Menschen aus der Sachgasse der faden Erklärlichkeiten zu holen und ihn in seine Offenheit zu halten.

B: „…die Dinge lagern in stummen
Gewölben aus Substanz,
und keine Schatten vermummen
den regungslosen Glanz.
(…)
erst wenn die Schöpfungswunde
sich still eröffnet hat,
steigt die Verstömungsstunde
vom Saum der weißen Stadt…“ (95)

G: Das Andere der Dinge wird gewahr, wird spürbar für den Einzelnen. Fällt man in die Metaphysik zurück, würde man von Gott (welchem auch immer) reden, der sich hier zeigt. Man kann aber auch die ausgetretenen Pfade meiden und das Augenmerk auf das „Dass“ des Existierens richten. Erschütternd und geheimnisvoll ist, dass etwas existiert und noch mehr, dass Menschen auf solche gewahren-könnende Weise in der Welt sind.

G: Mensch sein heißt, Mensch werden – permanent. Nicht im moralischen Sinne, sondern im existenzialen. Baukunst als Möglichkeit hält den Menschen in seine Werdung, sie steuert das Dass des Daseienden -sein Sein- an.

H: „…Die Subjektivität rührt, unwissend des Ereignis, daran, dass eine Be-anspruchung des Menschen für das Sein durch das Sein sich ereignet…“ (118)

(B: Gottfried Benn: Erst wenn; Sämtliche Gedichte; Stuttgart 2006)
(H: Martin Heidegger Gesamtausgabe, Band 70, Frankfurt am Main 2005)
(S: Peter Sloterdijk: Nicht gerettet. Versuche nach Heidegger, Frankfurt am Main 2001)

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt