Verwandtschaften …

By cjg on 23. Februar 2016 — 1 min read

W: „…Du redest doch vom Verstehen der Musik. Du verstehst sie doch, während du sie hörst! Sollen wir davon sagen, es sei ein Erlebnis, welches das Hören begleitet?…“ (S. 308)

G: Ist es nicht so, als beschreibt Wittgenstein hier auch das Umgehen mit Architekturen? Wird hier nicht das Lotsenken ins Innere zu einer Art Echolot, das hilft, sich am Äußeren ein Bild zu formen? Im leiblichen Vollzug mit dem Begegnenden kann solch ein Lot wirken.

W: „…Es gibt so etwas, wie ein Aufflackern des Aspekts. So, wie man etwas mit intensiverem und weniger intensivem Ausdruck spielen kann. Mit stärkerer Betonung des Rhythmus und der Struktur oder weniger stärker…“ (S. 503)

G: Übersetzung in die Baukunst: Aspekt wäre dann Fassade und Gliederung / Ausdruck wäre dann Form / Rhythmus wäre dann Wechsel und Wiederholung / Struktur wäre dann Raster und Ordnung.

G: Aspektlose Architektur haben wir heutzutage zuhauf. Ein intensiver Eindruck entzieht sich dort. Sammeln kann sich kein Blick an einem Bau, der seine Plastizität verleugnet, er läuft quasi an den glatten und fugenlosen Fassaden hinunter. Was sagt es, was spricht es, wenn der Bau seinen Stand in die Zweidimensionalität zwingt?

W: „…Man kann auch vom Verstehen einer musikalischen Phrase sagen, es sei das Verstehen einer Sprache…“ (S. 309)

G: Was sagt eine Sprache der Bauten, die zwar Ausdruck als Form und Struktur als Raster haben, aber weder Aspekte noch Rhythmus vertreten?

G: Nehmen wir die moderne Musik. Sie lebt fast ausschließlich von Aspekt und Rhythmus. Vielleicht hat sich das Geschwisterpaar Bau- und Tonkunst heutzutage weitgehend entkoppelt? Oder es spricht etwas anderes daraus? Vielleicht, dass die Menschen lieber permanent ihre klingenden Ohrenstöpsel tragen, um den Aspekt- und Rhythmusmangel der gebauten Umwelt besser zu kompensieren?

W: „…Es ist, als hätte das Wort, das ich verstehe, ein bestimmtes leichtes Aroma, das dem Verständnis entspricht. Als unterscheiden sich zwei mir wohlbekannte Wörter nicht bloß durch ihren Klang oder ihr Ansehen, sondern, auch wenn ich mir nichts bei ihnen vorstelle, noch durch eine Atmosphäre…“ (S. 55)

G: Überlagerung der Echolotsignale. Das Subjekt ist *auch* die Grenze zur Welt, aber nicht nur.

Zitate:
W: Ludwig Wittgenstein: Werkausgabe; Band 7, Frankfurt am Main 1984

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt