Philosophie hat nichts verloren in den staubigen Winkeln der akademischen Fabriken. Sie kommt aus dem Leben und hilft, es zu meistern. Aus den Klauen der „Logokraten“ (George Steiner) in das freie Spiel der Selbstvervollkommnung gehört auch das Denken Martin Heideggers. Heute steht der Aufsatz „Die Kunst und der Raum“ (Heidegger: GA 13, S. 203-212) im Mittelpunkt. Es geht um nichts Geringeres als die Frage nach der Präsenz von etwas in etwas. Genauer vom präsenten Wechselspiel von Kunst und Raum.
„…Das Gestalten geschieht im Abgrenzen als Ein- und Ausgrenzen. Hierbei kommt der Raum ins Spiel. Er wird vom plastischen Gebilde besetzt, als geschlossenes, durchbrochenes und leeres Volumen geprägt…“ (Ebd. 204). Das ist ziemlich am Anfang zu lesen. Und ja, welcher sensible Architekt hätte sich nicht schon gefragt, wie umzugehen ist mit Grenzen. Grenzen werden in jedem Schöpfungsakt gesetzt; sei es ein Ton, sei es ein Pinselstrich, sei es ein Körper im Raum.
Es scheint das Leere zu brauchen, um schöpfen zu können. Oder zumindest das, was (noch) nicht da ist, (noch) nicht präsent ist. Das scheint irgendwie „magisch“ zu sein. Aber die Magie ist ein schlechtes Beispiel, denn sie lebt von der Täuschung und zeigt lediglich die Irrtümer menschlicher Erwartungen auf. Nein, tiefer sollte das gesehen werden. Vom Schöpfen war die Rede. Schöpfen setzt etwas zu Schöpfendes voraus. Dieses Etwas ist nicht im Schöpfer geborgen, etwa in seiner Vorstellung. Dieses Etwas ist in im Nicht, im (noch) Nicht-Präsenten verborgen. Es wird geborgen, entborgen vom jeweiligen Schöpfer.
Es will scheinen, dass die Grenze, die der Ton, der Strich, der Körper bildet im Wechsel steht mit dem „Noch-Nicht“ ihrer eigenen Präsenz. Das „Noch-Nicht“ des Tons ist in der Stille. Das „Noch-Nicht“ des Dichtens ist im Schweigen. Das „Noch-Nicht“ des Striches ist im unbeschriebenen Blatt. All das beschreibt aber keinesfalls ein Nichts. Es ist nicht leer, sondern nur (noch) nicht präsent.
Das Schweigen kann laut sein und die Stille voller Erwartung. Hier ist das „Noch-Nicht“ präsent. Wie ist es aber mit dem Raum? Der eigene Körper ist. Es fällt hier schwer, das „Noch-Nicht“ der Präsenz in Einklang zu bringen mit der Erfahrung des eigenen Körpers. „…Denn hinter dem Raum, so will es scheinen, gibt es nichts mehr, worauf er zurückgeführt werden könnte. Vor ihm gibt es kein Ausweichen zu anderem. Das dem Raum Eigentümliche muß sich von ihm selbst her zeigen…“ (Ebd. 205). Der Raum ist ein Sonderfall. Er verlangt ein Denken bis zur eigenen Grenze und auch darüber hinaus.
Gelöst hatte ich mich schon vom durch Euklid motivierten wissenschaftlichen Raumbegriff. Einem nämlich, der das Verständnis des Raumes auf innen und außen, Oberflächen, Volumen und Maßeinheiten reduziert. Fokussieren möchte ich mich daher nun auf eine Deutung des Raumes, die in Verbindung steht mit dem „Ins-Werk-Bringen der Wahrheit“, wobei die Wahrheit als die „Unverborgenheit des Seins“ gesehen wird.
Heidegger nähert sich über die Sprache dem Raum. „…Darin (in der Sprache, CJG) spricht das Räumen. Dies meint: roden, die Wildnis freimachen. Das Räumen erbringt das Freie, das Offene für ein Siedeln und Wohnen des Menschen…“ (Ebd. 206). Das Räumen kann also als Frei-Räumen gedacht werden und als „Freigabe von Orten“ (Ebd.). Wenn der Mensch, der Künstler, der Architekt etwas freimacht, macht er
etwas. Das Machen wird in der Folge als „Geschehen“ festgehalten. Es gehört also zum Raum dazu.
Das Geschehen und derjenige, der geschehen lässt, räumt frei und räumt ein, denn das „Ein-Räumen“ ist das Andere des Räumens. Zunächst wird das Offene möglich, in das das Eingeräumte wirken kann. Die Beziehungen der Dinge untereinander wiederum, werden bestimmt über ihr jeweiliges Wohin. So entsteht nicht bloß Raum, sondern Ort, denn „…Der Ort eröffnet jeweils eine Gegend, indem er die Dinge auf das Zusammengehören in ihr versammelt…“ (Ebd. 207). Welcher sensible Architekt hat das nicht schon gespürt; diesen Moment, in dem der Ort einem sagt, was und wie hier zu bauen wäre!
Offenheit, Weite und Gegend stehen mit dem Ort in Verbindung. Die Dinge, Körper, Architekturen also sind gebunden an ein Frei- und Einräumen, an das Tun desselben und daran, dass die Dinge gleichzeitig bergen und entbergen. Die Dinge kommen in ihr Zusammengehören, das das Räumen entstehen lässt.
„…Wir müßten erkennen, daß die Dinge selbst die Orte sind und nicht nur an einen Ort gehören…“ (Ebd. 208), schreibt Heidegger weiter. Dann wäre der Raum also nicht das „Leere“ zwischen den Dingen, sondern das Walten und Wirken der Dinge selbst. „…Die Plastik wäre die Verkörperung von Orten, die, eine Gegend öffnend und sie verwahrend, ein Freies um sich versammelt halten, das ein Verweilen gewährt den jeweiligen Dingen und ein Wohnen dem Menschen inmitten der Dinge…“ (Ebd. 208).
Orte und Räume entstehen also quasi vom Innen der Dinge. Der Dinge, Kunstwerke, Architekturen, die die „Wahrheit ins Werk bringen“, wobei die Wahrheit ganz unpathetisch die „Unverborgenheit des Seins“ meint und also das Alltäglichste. Wir Heutigen haben dieses Alltäglichste allerdings gründlich verlernt und sehen nicht mehr hinaus über den Tellerrand der freiwilligen Selbstkontrolle, die Wissenschaft genannt wird…