Von stiftender Unbedingtheit …

By cjg on 2. Februar 2016 — 3 mins read

Vertiefen möchte ich heute die Frage nach der „totalen Gegenwart“ und diese auf das „ist“ des Umgebenden fokussieren, also auf das, was ungesagt und scheinbar selbstverständlich das Umgebende stiftet. In „Sein und Zeit“ (Heidegger, Martin: GA 2, Frankfurt am Main 1977) hat Heidegger sich in zahlreichen Denkschritten mit diesem „ist“ befasst. Es ist dieses „ist“, das auch einen Weg bahnt in das Performative der Baukunst, in dessen totale Gegenwart.

Unsere breiten Schneisen im Wald der abendländischen Philosophie der Neuzeit haben wir Descartes „Ich denke, also bin ich“ (cognito ergo sum) zu verdanken. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle tiefer einzusteigen und sich abzuarbeiten an der dort begründeten freiwilligen, intellektuellen Selbstbeschränkung. Stattdessen beginne ich dort, wo Heidegger den blinden Fleck in der konstruktivistischen Selbstermächtigung moderner Subjektivität ausmacht, nämlich im „bin“ des Schlüsselsatzes: „…Dagegen lässt er (Descartes, CJG) das „sum“ völlig unerörtert, wenngleich es ebenso ursprünglich angesetzt wird wie das „cognito“…“ (a.a.O., S. 61).

In diesem simplen Satz erscheint das ganze Potential des Heideggerschen Denkens. Hier kommen wir nämlich heraus aus der Relativismusfalle einer Meinungs- und Begriffskultur, die den Zugang zur Kunst, also auch zur Baukunst, verstellt. Hinaus also aus einer Kultur, die diesen Zugang vernebelt und bannen will in die Belanglosigkeit einer vernünftelnden Oberflächlichkeit. Heidegger hierzu am Beispiel der Etymologie: „…Das synkretistische Allesvergleichen und Typisieren gibt nicht schon von selbst echte Wesenserkenntins…Das echte Prinzip der Ordnung hat einen eigenen Sachgehalt, der durch das Ordnen nie gefunden, sondern in ihm schon vorausgesetzt wird…“ (a.a.O., S. 69-70).

Die Abgründigkeit der Kunst in ihrer stiftenden Unbedingtheit wird trivialisiert durch die zahl- wie zahnlosen „…logien“ (Psycho-logie, Bio-logie, Sozio-logie, Anthropo-logie etc.) und übersetzt als Platzhalter einer jeweils einzigen, relativistischen Möglichkeit. Dieses Vorgehen ist ganz bestimmt der schlechteste Ratgeber, um Performanz zu entschlüsseln, denn diese ist zwar gebunden an das Subjekt, jedoch in Form von Teilhabe an einer Beziehung zur Welt. Diese Beziehung kann jedoch nicht als Objekt geschehen, zu dem sich das erkennende Subjekt macht, sondern erfordert ganz im Gegenteil das Subjekt als ganze Person, als lebend und leibend, als verstrickt, als bedingungslos an die Abgründigkeit verwiesen.

Was sagt uns das in Bezug zur Baukunst? Dinge sprechen zu uns, also auch Architekturen. Deren Sprache kommt zu uns in mannigfaltiger Weise. Manche verstehen sie als Atmosphäre, manche als Aura, manche als Geheimnis, manche als Temperatur, manche als Helligkeit, manche als Farbe. Die Abgründigkeit der Kunst in ihrer stiftenden Unbedingtheit, war im letzten Teil dieser Reihe angeschnitten. In der Abgründigkeit der Kunst zeigt sich auch Gründigkeit / Grund / Boden und Anfang; sie öffnet uns für das „Ist“ ihrer Selbst.

Es geht in der Kunst, also auch in der Baukunst, um die Augenblicklichkeit. In ihr geschieht etwas, wird etwas getan, passiert Tat. In der Tat herrscht die Gegenwart. Es gibt keine andere Zeit als diese. Sie ist es, die der Kunst ihr Gepräge verleiht. Sie ist es, die herausgearbeitet wird aus dem Ding, sei es mit einem Pinsel oder mit einem Meißel oder mit dem tanzenden Körper. Die Augenblicklichkeit erweitert den da-seienden Zustand der Welt, sie hilft, zu entfesseln und Verborgenheit zu verlassen.

Das Prägnante am Kunstgegenstand ist nun, dass die Augenblicklichkeit les- und fühlbar bleibt. Die Gegenwart als einzige Zeit im Schöpfen bleibt erhalten, auch hinfort in der Dauer. Sie wird über die Schöpfung aus ihrem zu Schöpfenden zur Wirkung, zur Wirkung als Unverborgenheit. Genau dieses meint Atmosphäre oder Aura, die einem Kunstwerk oder einer Architektur innewohnt. Kunst wäre dann eine unendlich gedehnte Augenblicklichkeit, ein in die Wirkung entborgenes Sein des Da-Seinenden, das dem Menschen gewahr wird.

Eine der weiteren Besonderheiten bei Heidegger ist nun, dass er das Sein als Unverborgenheit mit Wahrheit zusammendenkt. Eine Wahrheit freilich, die nicht ins „Off“ einer wie immer gearteten Transzendenz geschoben wird, sondern im Dasein bleibt und an dieses verwiesen ist. Wahrheit und ihre Schwester, die Schönheit sind immer schon in der Welt und werden ausschließlich aus diesem „sind“ entfaltet.

Veröffentlicht in: Gedankenwerkstatt