Wunderbar direkte Verbindungen zwischen Architektur und Musik sind zu finden im Werk von Iannis Xenakis, der Ingenieurwesen und Komposition studierte und als Mathematiker, Architekt und Komponist musikalische Architektur und architektonische Musik machte. Mit seinem sehr bekannten Stück „Metastasis“ schuf er beispielsweise Mitte der 1950er Jahre ein Musikwerk, das 1958 unter der Regie von Le Corbusier in Form des „Phillips Pavillon“ drei Dimensionen annahm.
Haben wir sie hier wieder, die klassische Linie des Begriffs, der Isolierung durch das reflektierende Erkennen? Haben wir hier also die Musik aus dem Geiste der Mathematik? Immerhin ist das Tun eines Mathematikers und Ingenieurs in reinster Weise Konstruktion, also Welt, die von Subjekt geschaffen wird, die artifiziell ist. Nein, wenn das schon alles wäre, würde Xenakis hier nicht im Mittelpunkt stehen und dann würde er auch nicht mit Schelling gemeinsam gedacht werden können.
Das, was Xenakis bei aller Logik und Stringenz seiner Musik interessant macht, ist, dass er sie letzten Endes ins Offene überwindet. Er schafft es also, den Punkt zu finden, an dem höchste (artifizielle) Präzision in ihr Gegenteil umkippt und sich ad absurdum führt. Mit Schelling gesprochen, bewegt er sich im Zwischen, das nur die Kunst zu erzeugen vermag; im Zwischen von Subjekt und Objekt; im Zwischen, in dem die Trennung von Mensch und Welt zum Verschwinden gebracht wird; im Zwischen, in dem Bewusstloses und Bewusstes, Unendliches und Endliches, Absolutes und Differentes im gemeinsamen Fluss sind.
Wie schafft er das? Indem er den Weg in die Vorsokratik geht, wie schon viele vor ihm und viele, die ihm folgten (z.B. Schelling, Nietzsche, Heidegger, Merleau Ponty). In einem der wenigen deutschen Bücher über Xenakis (Frisius, Rudolf: Konstruktion als chiffrierte Information; In: Metzger, Heinz-Klaus und Riehn, Rainer (Hg.): Iannis Xenakis, München 1987) steht ein wunderbares Zitat zu dem, was hier passiert: „…Traditionelle Begriffe und Abgrenzungen sind aufgehoben – nicht nur die Grenzziehungen zwischen verschiedenen Künsten, sondern auch die Begriffssysteme einer Einzelkunst wie der Musik…Töne, Klänge und Geräusche verbinden sich zu dichten Klangwolken, Liniengeflechten und Klangschwärmen…“ (Ebd., S. 91)
Auch in Xenakis Arbeit mit dem Rhythmus finden wir Parallelen zu Schelling, denn er geht daran, eine elektronische Musik zu formen, die nicht mehr anthropozentrisch ist, also nicht mehr die menschliche Stimme als Referenzsystem nutzt. Diese neue Musik ist dabei allerdings nicht ins technoid-künstliche gerichtet, sondern -im Gegenteil- auf eine „…universelle, von Identität und Periodizität ausgehende Rhythmik…“ (Ebd., S. 94). Da schlägt das vorsokratische Denken durch, das auf den ersten Blick so gar nicht zusammengehen will mit dem sogenannten „musikalischen Konstuktivisten“.