Der Hamburger Verlag „Textem“ gab vor kurzem den Bildband „Schwebende Rahmung“ heraus. Er ist 2012 während dreier West-Ost-Querungen durch die USA entstanden. Im Band finden sich außer der Nennung des Buchtitels sowie des Fotografen Volker Renner, einer Danksagung und des Impressums keinerlei erklärende Worte. Bedeutsam ist, dass diese Verwirrung mit den abgebildeten Motiven korrespondiert.
Zu sehen sind 47 Rahmen, ganz so, wie es der Titel verspricht. Schweben tun sie allerdings nicht, sondern lassen sich von Gestellen tragen. Die meisten stehen auf einem Bein, einige auf zweien und ganze drei auf dreien. Die Bilder sind allesamt in der Froschperspektive aufgenommen, wobei rund zwei Drittel der Rahmen gegen einen strahlend blauen Himmel fotografiert sind und zu den restlichen auch einige Wolken hinzukommen. Ein Rahmen fällt aus dem Rahmen, weil ihn insgesamt fünf Drähte, Leitungen oder Abspannungen begleiten.
Ist nun alles gesagt? Nein, man könnte noch auf Farben, Konstruktionsweisen oder Formensprachen der einzelnen Gestelle eingehen. Aber das würde die Verwirrung nicht auflösen, denn nur um das Sichtbare geht es in diesem Buch nicht. Abgebildet wurde vielmehr auch das Nichtsichtbare. Das Nichtsichtbare, das freilich das Sichtbare braucht, das mitschwingt in den Bildern und den Sog in eine gewisse Leere spüren lässt.
Nur vordergründig ist das logisch zu folgern, denn zwar haben die Tragkonstruktionen für beleuchtete Werbeschilder ihre Funktion verloren, aber zu fragen wäre, ob sie auch im Dienst zuvor schon eine Leere versinnbildlicht hatten. Auf der Verlagswebseite steht diesbezüglich zu lesen: „So stehen diese Informatoren ohne Information seltsam nackt in der Gegend herum, als Ruinen eines vergangenen Aufmerksamkeitsspektakels.“ Ein trefflicher Satz, in dem sich Kritik an der Konsum-, wie der Informationsgesellschaft gleichermaßen zeigt. Die Inhaltslosigkeit des zugehörigen Aufmerksamkeitsspektakels wird mitdokumentiert – freilich muss man durch dessen Mühle gedreht worden sein, um das auch in den Blick nehmen zu können.
Sinnlosigkeit und Nihilismus sind auch die Referenzgrößen eines ganzen US-amerikanischen Genres. Ist es nicht der schonungslose Blick auf eine sinnentleerte Welt und auf die Leere inmitten der Fülle, die die Bilder eines Edward Hopper (1882-1967) so wirkmächtig sein lassen? Nehmen wir z.B. die seltsam stillgestellte Aura der isolierten Protagonisten in „Nighthawks“ von 1942. Und, zeigt ein erkalteter Nihilismus sich nicht auch in Charles Bukowskis (1920-1994) Gedichten, wie z.B. „Ein Klugscheisser“?:
„…Eines Nachts, in einer Bar, bekam ich
Streit mit einem schmächtigen Kerl; er
wog bestimmt nicht mehr als sechzig
Kilo. Er machte mich fertig.
Am nächsten Abend probierte ich
es nochmal. Er machte mich wieder fertig.
Eine Woche danach stieg ich in den Bus
nach New Orleans…“1
Bukowski wird zum Chronisten von Handlungen, die keinerlei Bewertung mehr mittragen. Nicht die Umwertung der Werte spielt eine Rolle, vielmehr gibt es die Zuschreibung von Werten bzw. Wertungen nicht mehr. So kann der Kampf, dessen Wiederholung und eine Busreise im gleichen, unterschiedslosen Rhythmus erzählt werden. Dieser Rhythmus berichtet von Inhalten, die durch ihre Inhaltslosigkeit quasi zusammengehalten werden.
Auch in den Rahmungen taucht dieses Motiv auf. Es ist aber doppelt kodiert und zeigt sich sowohl in den fotografierten Gestellen, wie auch im nichtabgebildeten Regelbetrieb der Werbetafeln. Das unterscheidet die Rahmen von jeder anderen Ruine. Nicht der Verfall, nicht die Zeitlichkeit geben ihnen die Auren des Entzuges oder den Sog in die Leere, vielmehr ist er ihnen quasi in die Wiege gelegt worden und bleibt ein stetiger Begleiter.
Erschienen: Faust-Kultur
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1. Bukowski, Charles: Ein Klugscheisser, in: Ders: Letzte Meldungen, Deutsche Erstausgabe, 2. Aufl., hrsg. und übers. von Carl Weisser, Frankfurt/M.: Zweitausendeins, 2008, S. 57-60, hier S. 59