Der TGA-Fachplaner als Consultant …

By cjg on 18. Januar 2016 — 7 mins read

Nehmen wir den britischen Architekten Richard Rogers und seinen Bau für die Lloyds-Versicherung in London. Bei kaum einem anderen Beispiel aus der jüngeren Architekturgeschichte kommt der technischen Gebäudeausrüstung eine solch hohe ästhetische Prägekraft zu. Eine entgegengesetzte Haltung ist es, das „Adergeflecht“ des Baukörpers fast gänzlich hinter die architektonische Formen- und Materialsprache treten zu lassen.

Dass hierbei keineswegs weniger, sondern mehr Einsatz bei der TGA-Planung erforderlich wird, zeigt die Projektgeschichte des Ende letzten Jahres eröffneten zahnmedizinisch-biowissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungszentrums Witten (ZBZ), bei der die „Carpus+Partner AG“ für die Planung und Realisierung der TGA und Medizintechnik verantwortlich war.

Die Stadt Witten, das Land Nordrhein-Westfalen und die Europäische Union verfolgten für das „ZBZ“ von Anfang an das Konzept, klinische Studien, Anwendungen und Weiterentwicklungen zur Dentalmedizin unter einem Dach zu ermöglichen. Angewandte Forschung und die Förderung von Start-Ups waren also auch die inhaltlichen Leitthemen für dessen Umsetzung.

24 Monate betrug die Planungs- und Bauzeit des „ZBZ“, in der rund 18 Millionen € auf einer Bruttogeschossfläche von 6.790 qm eingesetzt wurden. „Carpus+Partner“ war im Team mit „Heinle, Wischer und Partner“, die die Architektenleistungen in den HOAI Phasen 1-9 übernahmen. Wie so häufig war auch dieses Projekt an einen engen zeitlichen Rahmen gebunden und hatte ein festes Budget.

Entwurf

Vier transparente, zylindrische Baukörper bilden das „ZBZ“. Damit hat die Wittener Zahnklinik eine unverwechselbare Architektur bekommen, die auch künftig als innovatives Symbol und Markenzeichen zur Wiedererkennung dienen wird. Die Rundbauten erzeugen durch ihr Zusammenwirken in einer Hanglage eine dynamische Atmosphäre auf dem Gelände. In drei von vier Zylindern sind die Behandlungs- und Diensträume untergebracht. Sie haben einheitliche Fassadenlamellen und geschoßhohe Fenster. Der vierte Rundbau im Bunde ist etwas kleiner und bildet den Eingangs- und Seminarbereich. Ihn umschließt eine gleichmäßig perforierte Metallhülle. Die ästhetische Qualität setzt sich im Inneren mit hellen, freundlichen Behandlungsräumen fort, die konstante wie behagliche Temperaturen, gute Belüftung und eine ausgewogenen Akustik haben.

Raumkonzept
Aus dem Anspruch der Nutzer, in einem zukunftweisenden Gebäudekomplex die Themen Patientenversorgung, Forschung und Entwicklung zu integrieren, erwuchs sukzessive ein komplexes Raumprogramm. Die Konzeptphase fand erst dann ihr Ende, als sich alle teuren Flächen für TGA sowie Medizin- und Labortechnik nicht mehr mit billigen vermischten, die Nutzer ihre Prozesse perfekt umgesetzt sahen und die Architekten mit dem ästhetischen Anspruch zufrieden waren.

Die Bündelung der Funktionen in den vier zu Verfügung stehenden Rundbauten war ein wichtiger Schlüssel, über den die erforderliche Technik sich effizient und kostenoptimiert entwickeln lies. In einem Turm wurden Zahnklinik und Zentralsterilisation konzentriert und in einem anderen fand der Empfangs- und Seminarteil seine Anordnung. Die chirurgische Abteilung erhielt einen eigenes Gebäude und ebenso die Büro- und Verwaltungsflächen.

Auch in den Vertikalen der jeweiligen Zylinder gliedern sich sie Funktionen effektiv nach technischen Prämissen und im Einklang mit Nutzern wie Architekten. Wegen der vorzuhaltenden Nutzungsvariabilität und deren technischen Erfordernissen -etwa Zusatzlüftungen oder Versorgungen mit Sondergasen- wurden beispielsweise die Labore stets in den oberen Bereichen angeordnet.

Sollbruchstellen in der Dachhaut sind die Garanten dafür, dass diese zukünftigen Aufwuchspotentiale nicht das Architekturkonzept des Bauwerks stören, denn generell galt die Losung, dass alle technischen Einbauten zu verstecken waren. Herkömmliche Dachzentralen oder Ansaugbauwerke gibt es im „ZBZ“ nicht und auch im Inneren verschwanden z. B. alle Lüftungsauslässe in Einbauten oder Möblierungen.

Die vier freistehenden Türme haben kaum Verbindung untereinander. Das erzeugte anfänglich Schwierigkeit mit der Leitungsführung. Im Rahmen der Planspiele in der Konzeptphase, die zum großen Teil mittels Simulationstechnik in 3D durchgeführt wurden, fand man den entscheidenden Kompromiss. Eine Ebene im Untergeschoss verbindet das „ZBZ“. An diesem Beispiel wird auch deutlich, wie wichtig der permanente Dialog und die gleiche Augenhöhe im Planungsprozess waren. Die TGA bekam nämlich durch diesen Kompromiss ihre Räume zur effizienten Leitungsführung und die Nutzer ihre Reserveflächen für die Zukunft, wahrend die Architekten ihr ästhetisches Konzept von vier freistehenden Türmen gehalten hatten.

Planungskultur
Welche Herangehensweise ist in einem Projekt die beste, in dem sich Planungspartner zum erste Mal begegnen und indem die Ästhetik im Spannungsfeld steht mit hohen technischen Anforderungen und einem festen Budget?

Eine, die auf Klarheit und dem Willen zur Zusammenarbeit beruht. Der TGA-Fachplaner trat in diesem hochinstallierten Projekt als Consultant auf, der den Entwurf mitgestaltet. Er war kein Erfüllungsgehilfe nach klassischer Lesart mehr, sondern stand in der Pflicht, den architektonischen Entwurf und die Nutzeranforderungen möglich zu machen. Hierzu war ein offener Dialog nötig, in dem auch die Grenzen des Möglichen aufgezeigt wurden.

Von entscheidender Bedeutung war auch, den Auftraggeber permanent in die Diskussionen einzubinden, so gab es beim „ZBZ“ regelmäßig Workshops mit allen am Bau Beteiligten, um Problemfelder aufzuzeigen und Entscheidungsfindungen zu ermöglichen. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang wäre, dass erst dann grünes Licht für die zylindrischen Baukörper gegeben wurde, als zuvor mittels Simulationstools festgestanden hatte, dass in ihnen die Technik im vorhandenen Kostenrahmen realisiert werden konnte.

Alle Planungspartner optimierten gemeinsam und permanent den Entwurf weiter und trafen die wesentlichen Entscheidungen im Konsens. Das mag für manchen fremd erscheinen und bricht mit dem herkömmlichen Rollenspiel im Bauprozess. Auch fordert diese Herangehensweise eine offene Haltung, die jenseits von Kompetenzgerangel ist und sich nicht hintergründig von der Angst vor Regress und Haftung treiben lässt. Letzteres zu entschärfen, liegt maßgeblich in der Hand des Bauherren.

Technische Meilensteine
Ein Turm des „ZBZ“ beherbergt die Zahnklinik und Zentralsterilisation. Generell wurden für deren Innenräume die Bedürfnisse einer Lehrklinik berücksichtigt. Gleichzeitig versuchte man aber auch, Büroplanungsstandards anzulegen, um den Aufenthalt für alle Nutzer so behaglich wie möglich zu machen. Das ist für einen Gesundheitsbau eher untypisch, resultiert aber aus den besonderen Anforderungen, denn Patienten, behandelnder Arzt und Studenten sind zusammen in den Räumen versammelt.

Erhöhte innere Wärmelasten sind die Folge davon und Schwitzen wie Atmen treiben die Raumfeuchte nach oben. Da hilft gemeinhin ein entsprechender Luftwechsel in den Räumen. In diesem Fall jedoch gab es einige Parameter mehr zu bedenken, denn Zugerscheinungen sollten vermieden werden und auch die obligatorischen Gerüche bei der Zahnbehandlung galt es an ihrer Ausbreitung zu hindern. Nicht zu unterschätzen waren auch die äußeren Wärmelasten, die durch den hohen Glasanteil in der Fassade entstanden. Dieser wiederum war gewollt, um die Räume mit natürlichen Mitteln besonders hell zu bekommen.

Durch die Kombination aus maßvoller Fassadenverschattung und einer Deckenkühlung wurden schließlich alle Anforderungen erfüllt. Die Qualität der Gläser und Art des Sonnenschutzes bestimmten dabei die Dimensionierung der Kühldecken. Kalte Luftströmung und Zugerscheinungen treten nicht auf und eine gleichmäßige Strahlungskälte fällt von der Decke. Der auftretende Luftwechsel ist minimal und wird als behaglich empfunden, er verhindert ebenfalls die Ausbreitung unerwünschter Zahnarztgerüche im Gebäude.

Die jeweiligen Nutzungseinheiten -etwa für Start-Up-Unternehmen- sollten störungsfrei zugänglich sein. Von den Treppenhäusern und über voll begehbare Schächte wie Zwischendecken ist es daher im „ZBZ“ möglich, Wartungsarbeiten, Nachrüstungen, Verbrauchsmessung und Abrechnungen durchzuführen, ohne die jeweiligen Mieteinheiten betreten zu müssen.

Das „ZBZ“ ist in Teilen ein Gesundheitsbau für die Dentalmedizin und unterliegt als solcher medizintechnischen Anforderungen. Aqua Purifikata (Reinstwasser) musste zur Verfügung gestellt werden für die Zentralsterilisation. Diese entspricht mit ihrer Raumfolge von Lager-, Reinigung- und Verpackungsflächen der Standardraumfolge und ist ins Lüftungskonzept der Abluftanlage integriert. Die Apparatetechnik hatte den Anforderungen der Sterilisationsprozeduren zu genügen.

Für die Atemluftversorgung und das Ausblasen des Mundraums wahrend der Zahnbehandlung wird medizinische Druckluft in allen 40 Behandlungseinheiten benötigt. Deren Erzeugung und Verteilung übernimmt eine Kompressorenkaskade, die mit der anhängigen Druckluftaufbereitung den Anforderungen an das Medizinproduktegesetz genügt.

In jeder Behandlungseinheit war auch eine Absaugung für Speichel, Blut etc. nötig. Sie unterliegt besonderen Hygieneanforderungen. Ein komplexes Rohrsystem mit integriertem Amalganabscheider sorgt im „ZBZ“ fortan dafür, dass die ungiftigen Reste ins Abwassernetz eingelassen werden können. Die Anlage hatte einige Genehmigungshürden im Kontext Gewässerschutz zu nehmen.

Simulationstechnik
Das Konzept des „ZBZ“ konnte nur deshalb so belastbar mit Kosten hinterlegt werden, weil es von Anbeginn komplett dreidimensional geplant worden war. Auf diese Weise gab es die Möglichkeit, ohne Zusatzkosten so lange zu optimieren, bis die finale Lösung gefunden war. Böse Überraschungen während der Realisation wurden vermieden, denn mögliche Probleme tauchten schon im virtuellen 3D-Modell auf.

Treppenhäuser, Versorgungs- und Aufzugsschächte wurden auf diese Weise inkl. aller Schlitze und Durchbrüche geplant und reibungslos eingebaut. Die Arbeitsweise der Planungspartner wurde ebenfalls durch 3D-Planung erleichtert, so konnte der dreimalige, restriktive Planumlauf für alle relevanten Aspekte quasi in Echtzeit über das Internet realisiert werden.

Fazit
Die ungewöhnlichen Grundrisse regten so manches Mal zu Improvisationen an, so ermöglichen z. B. oktogonale Erschließungsringe mit Standardbauteilen, dass die Rundungen der Räume installationstechnisch ohne Zusatzkosten bewältigt wurden.

Das Vorhandene klug einzusetzen, anstatt sofort zur Sonderlösung zu greifen, setzt einen TGA-Fachplaner voraus, der stets mitdenkt und den Entwurf optimiert. Genau das war auch das Leitthema bei der Planung und Realisierung des „ZBZ“. Der Ingenieur gerät bei komplexen Planungsprozessen für hochinstallierte Gebäude in eine neue Rolle. Er wird vom „Erfüllungsgehilfen“ zum Consultant und selbstbewussten Teamplayer.

Erschienen: Technik am Bau 10/2009