Peter Zumthor mit seinen atmosphärischen und materialbetonten Bauten vermag es wie kaum ein anderer, das Imaginäre, Doppeldeutige, Überschreitende zu aktivieren und auch im gebauten Werk in der Wirkung zu halten. Wie kann man aber Architektur darstellen bzw. dokumentieren, die in dieser Weise die Grenze zur Undarstellbarkeit überschreitet? Der schweizer Verlag »Scheidegger [&] Spiess« hat mit »Zumthor sehen. Bilder von Hans Danuser« und »Peter Zumthor Therme Vals« zwei Bücher im Programm, die Denkanstöße in diesem Themenfeld geben.
Der Fotograf Hans Danuser charakterisiert in einem Interview seine Arbeit als Dokumentation. Freilich eine, die die Gemeinsamkeit mit der Literatur sucht, denn im aufzeichnenden Charakter von Dingen oder Situationen gleich die Fotografie der Sprache. Aufschlussreich ist, dass Danuser mit der Beschreibung des Sichtbaren dem Verborgenen auf die Spur kommen will. Hier zeigt sich, dass ihm das Mitschwingen des Ungesagten/Ungezeigten wichtig ist und auch, dass Fotografie (wiederum ähnlich zur Sprache) nie das Ganze z.B. eines Bauwerks umfassen kann, sondern immer nur Teile. Seine Bilder tasten denn auch die Oberflächen des Abzubildenden regelrecht ab und verwischen dabei dessen Grenzen mit der Umgebung. So war z.B. bei den Fotos der Kapelle »Sogn Benedetg« in Graubünden der Nebel nicht etwa nebensächlich, sondern elementar wichtig, um das Gebäude tatsächlich zu sehen.
Im zugehörigen Essay verortet der Kunsthistoriker Philipp Ursprung Danuser als einen Trendsetter für die Architekturfotografie der 1980er Jahre. Damals wurde versucht, Bauwerke auch als Zeichensystem, Sprache bzw. Bild zu lesen. Wichtig ist hierbei, dass in jenen Jahren der Fotografie auch mehr Freiheit zugebilligt wurde und sie nicht mehr nur in dienender Funktion auftrat. Vielmehr erschloss sie durch die Fokussierung auf isolierte Gebäudesequenzen neues Potenzial, denn mit dem Nichtgezeigten wuchs das Verständnis sowohl für Diskontinuität als auch Mehrdeutigkeit. Ebenso wurden sowohl für den Fotografen, als auch die Rezipienten von Architektur performative Spielräume eröffnet, wie sehr anschaulich in den Aufnahmen des Zumthor-Baus »Therme Vals« zu sehen ist. Danuser fotografierte den Ort seinerzeit ohne Wasser und eine zusätzliche Abdunkelung der Räume ermöglichte die typischen Oberflächenstudien, die das Bad in Einzelsequenzen zerlegten. Diese Aufnahmen fanden zwar keinen direkten Eingang in den Dokumentationsband »Peter Zumthor Therme Vals«, den u.a. Hélène Binet bebilderte, dennoch weisen ihre Arbeiten strukturelle Verwandtschaften auf, wobei die Fotografin auch in Farbe arbeitete, das Wasser mit den zugehörigen Lichtbrechungen einbezog und zumeist auch versuchte, komplette Raumeindrücke abzubilden.
Beide Künstler wurden allerdings nicht nur durch den Bau verbunden, sondern auch durch seinen Architekten, dessen Arbeitsweise und Anspruch eine sequenzierte Darstellung optimal entsprach. Peter Zumthor ist nämlich ein Baumeister, für den seine Arbeit noch etwas mit Weltaufstellen, Sensibilität, Offenheit und einem jeweiligen Ort zu tun hat. Bereits im Entwurfsgeschehen wird eine Form gefunden, die das noch Umgeformte bindet und progressiv auch in der später gebauten Erscheinung hält. Sie kann daher nie abgeschlossen sein, kein Ende finden und keiner Totalität verpflichtet werden, sondern nur im permanenten Wandel verweilen. Architektur wirkt in diesen Momenten als Art Katalysator, der das Etwas, das Nicht und das Noch-Nicht in einem Raum-Zeit-Gefüge fusioniert.
Sehr anschaulich wird z.B. im Projektband zur Therme Vals beschrieben, wie Eindrücke von Steinplatten aus Schiefer, Felsköpfen, mineralischen Strukturen, Steinbrüchen oder auch das Changieren von Grautönen im Entwurfsgeschehen ihren Einfluss nahmen. Auch das Wasser wurde als Material gesehen, in das man eintauchen kann. Bezeichnenderweise entstandenen während der Formfindung die stärksten Bilder von realen Modellstudien, d.h., dass die heutzutage so mächtige Rechenmaschine nicht in der Lage war, in die Undarstellbarkeit zu weisen bzw. sie zuzulassen. Hier zeigt sich deutlich, wieso Computeranimationen zumeist steril wirken – sie haben schlichtweg keine Welt. Um das Aufstellen und Auslesen von Welt geht es jedoch bereits im architektonischen Entwurf.
Zumthor und sein Team stellten das eindrücklich unter Beweis mit den sog. Blockstudien. In dieser spielerischen Forschungsarbeit, die im besten Sinne ohne Zweck war und von Hand gemacht wurde, zeigten sich Rhythmen, Verdichtungen und Intensitäten als Strukturprinzipien, die sich im späteren Bauwerk zusammen mit dem Valser Stein manifestieren konnten. Der Architekt hierzu: »Unser Bad, ein großes Raumkontinuum, einen Raum, in den ich eintrete und den ich sofort als etwas Ganzes erfahre, den ich aber nie auf einen Blick übersehen kann. Ich muss ihn begehen, erwandern, entdecken. Ich erfahre ihn Bild um Bild, als räumliche Sequenz«.
Wie nah die Fotografien von Hans Danuser und Hélène Binet an diesem Anspruch sind, zeigt sich hier und auch, wie das Undarstellbare der Architektur sich darstellen lassen kann. Die Herausforderung für beide Fotografen war ja eine grundsätzliche, denn es galt, eine Kunst, die in Raum und Zeit wirkt, die körperlich ist und den Menschen mit Atmosphären umfängt, in eine zweidimensionale, unkörperliche Form eines Fotos zu bannen. Die Unmöglichkeit dieser Aufgabe wurde über die Darstellung des Undarstellbaren doch noch zur Möglichkeit, denn das, was der Architekt im Bauwerk zur Erscheinung kommen bzw. sprechbar werden lässt, konnte über die Sequenzierung und den Verzicht einer Abbildung von Totalität fotografisch lesbar werden. Dabei spielten die Dimensionswechsel keine Rolle, denn ein Entzugsgeschehen findet unkörperlich im Bild genauso wie körperlich im Raum statt.
Erschienen: AZ/Architekturzeitung