Die Architekturphilosophie hat einige Schwierigkeiten, sich von ihrer dominanten Mutter, der Architekturtheorie, abzunabeln. Dennoch tut sie es und kann auch schon Erfolge aufweisen. Der Herausgeber des neuen Sammelbandes „Architekturphilosophie. Grundlagentexte“ empfiehlt z.B., keine reine Theorie zu betreiben, sondern nur solche, die einen konkreten Architekturbezug hat und sich in die Kategorien „Allgemeinheit, Reflexivität, Systematizität und Neutralität“ binden lässt. Bedeutsam wie folgenschwer ist Christoph Baumbergers Ankündigung, vor allem die analytische Philosophie in den Fokus nehmen zu wollen. So strotzen erwartungsgemäß rund drei Viertel der versammelten Texte vor Reduktionismus und Formalismus – hier hätte sich eher der Untertitel „Grundlagentexte analytischer Philosophie“ angeboten.
Viele Aufsätze beschäftigen sich mit der Frage, ob Architektur Kunst ist oder nicht. Einige Autoren verirren sich dabei in Betrachtungen, die z.B. den funktionalistischen Exzessen eines Hannes Meyer (1889-1954) ähneln (der damalige Bauhausdirektor war der Meinung, dass Architektur nichts mit Kunst zu tun hätte) oder reden einer Gebrauchsästhetik das Wort. Andere versuchen herauszufinden, ob Kunst eher im Entwurf, der Planung, der Realisierungsphase oder im errichteten Bauwerk geschieht.
Originell ist es, über die traditionelle, proportionale Verbindung von Architektur und Musik hinaus, den gezeichneten Plan mit einer Partitur zu vergleichen und damit ein Kunstwerk auf Abruf zu unterstellen. Stets -und das ist ein weiterer wichtiger Gedanke- ist nicht ein einziger Hervorbringender an die Bau-Kunst verwiesen, sondern mehrere. Das beinhaltet wiederum eine strukturelle Parallele zur Musik, denn es lassen sich durchaus Bauzeichner mit Transkriptoren, Handwerker mit Musikern und der Architekt mit dem Dirigenten vergleichen.
Positiv hervorzuheben sind die Aufsätze von Gernot Böhme und Karsten Harries. Verzichten Sie doch auf ermüdende Sprachspiele und berühren stattdessen existentielle Erfahrungen. Böhme möchte das Eigene der Architektur darin sehen, dass sie Räume gestaltet, die spürbar sind. Für ihn ist nur das errichtete Bauwerk relevant, denn dort können die so wichtigen Atmosphären wirken. Diese markieren auch den leiblichen Raum, der unterschieden vom körperlichen ist und durch eine unbestimmte Weite charakterisiert, die den Menschen entsprechende ‚Be-findlichkeiten‘ gibt.
Auch Karsten Harries ist es wichtig, die Architektur nicht ausschließlich über die Terminologie der klassischen Ästhetik zu fassen. Er will hierzu die Erblast der Aufklärung, den Schönheitsbegriff, ablegen und die Betrachtung in das Feld der Ethik ausweiten. So kann die Richtungslosigkeit der Architektur überwunden werden, die aus dem zugehörigen Zwang zur Autonomie des Kunstwerks herrührt. Auch einer wie immer gearteten funktionalistischen Alternative, die die Verpflichtung auf Nutzen und Zweck eines Gebäudes überbewertet, erteilt Harries eine Absage und setzt (ganz Heideggersch) die Verwurzelung im Boden mit einer ethischen Aufgabe der Architektur gleich: „Müssen wir unsere natürliche Umgebung als zu gebrauchendes oder zu beherrschendes Material verstehen? Oder können wir, müssen wir lernen, dass unsere Umwelt uns nicht so sehr gehört, wie wir ihr gehören, und die Architektur in den Dienst eines solchen Gehörens stellen?“
Erschienen: TABULARASA