Gravitationen im Industriebau …

By cjg on 20. Januar 2016 — 5 mins read

Säugetierzellen sind die wichtige Arbeitsgrundlage für ein schwäbisches Biotechunternehmen. Ganz im Thema seiner Spezialisierung, heißt das neue Bürogebäude „Nukleus“, denn wie in einer Zelle, werden von hier alle Abläufe des Unternehmens gesteuert.

Auf rund 4    000 Quadratmeter Fläche breitet sich das Laupheimer Unternehmen Rentschler Biotechnologie aus. Die Neuausrichtung lief in den vergangenen Jahren parallel mit der Entwicklung des lokalen Standorts in Baden-Württemberg. 60 Millionen Euro nahm der Konzern bislang in die Hand und erweiterte die Produktion, baute ein neues Laborgebäude und ein Logistikzentrum für seine rund 500 Mitarbeiter.

2008 kam die Verwaltung an die Reihe. Diese sollte baulich und strukturell zusammengelegt werden. Die Planer von Carpus+Partner arbeiteten eine bereits existierende Vorstudie aus. Ihr Entwurf sah vor, symmetrisch an einen bestehenden Bürobau anzudocken. Sie erweiterten dessen Riegelform um ein paralleles, nördliches Pedant in gleichen Dimensionen und setzten einen konkav geschwungenen Kopfbau im Westen bis zur neuen Gebäudekante fort.

1.100 Quadratmeter Fläche gewannen die Planer auf diese Weise und der repräsentative Baukörper wirkt, als ob er immer schon dort gestanden hat. Für die Zukunft ist ebenfalls vorgesorgt, denn ein dritter, paralleler Kamm soll künftig das nördliche Ende des rund 5.000 Quadratmeter großen Baufelds markieren. Im dritten Bauabschnitt wird dann auch der Kopfbau seinen eleganten Schwung bis an die Grundstücksgrenze fortsetzten.

Genaue Analysen der vorhandenen Strukturen und Qualitäten gingen der Planung voraus und ein Soll-Ist-Vergleich half, Optimierungen vorzunehmen. So nutzten die Architekten die Möglichkeiten fehlenden Stauraum, mangelnde Belichtungen, das Verhältnis von Büro- zu Verkehrsfläche, zu wenige Kommunikations- und Gemeinschaftszonen, Akustikprobleme, zu kleine Raumdimensionierungen, klimatische Bedingungen oder Verkehrs- und Erschließungsströme umzuorganisieren und zu verbessern.

Ganz im Thema seiner Spezialisierung, heißt das neue Büro-Gebäude „Nukleus“. So wie in einer Zelle der Zellkern (Nukleus) sich für Organisationsabläufe verantwortlich zeigt, so übernimmt das Gebäude die Steuerungsfunktionen der Rentschler-Unternehmensgruppe.

Der Aufgabenkatalog an die Architekten war eindeutig: Technik- und Lagerflächen, ein Konferenzzentrum für 60 Personen mit Büros und Vortragsraum und ein Betriebsrestaurant mit 150 Sitzplätzen sollten im Erdgeschoss liegen. In drei Obergeschossen galt es, rund 370 Quadratmeter pro Etage mit Büroflächen auszugestalten, die sich mit insgesamt 17 neuen Besprechungs- und Schulungsräumen abwechseln.

Kommunikation ist ein Thema, das den „Nukleus“ entscheidend prägt, denn flache Hierarchien, flexible Teams, Projektarbeit, Ergebnisorientierung und Selbstverantwortung im modernen Arbeitsalltag mussten architektonisch ermöglicht werden. Möglichst ungehindert sollten sich Wechselwirkungen ergeben zwischen Einzel- und Gruppenleistung.

Informelle und persönliche Kommunikation erhöht die Motivation der Mitarbeiter und fördert auch das Zusammengehörigkeitsgefühl. Architektonisch reagierten die Planer auf diese Anforderung mit einem hohen Maß an baulicher Transparenz. Eine Besonderheit ist in diesem Zusammenhang sicher die Integration alter Bleiverglasungen aus dem Bestand in die modernen Glas-Systemwände.

Offenheit musste jedoch auch durch Ruhe- und Konzentrationszonen ergänzt werden, in die die Mitarbeiter sich zurückziehen können. Sogenannte Denkzellen sind dafür vorgesehen. Gleichzeitig gibt es Räume, in denen vertrauliche Gespräche mit Kunden, Dienstleistern und auch Mitarbeitern geführt werden können. Variable Einbauten sorgen dafür, dass Anpassungen der Bürostruktur künftig schnell umsetzbar sind und zwischen Gruppen-, Kombi- und Einzelzone gewechselt werden kann.

Die Gebäudeentwicklung geschah von Innen nach Außen und der Arbeitsplatz stand dabei im Mittelpunkt. Sehr genau setzte man die Ergebnisse des Soll-Ist-Vergleichs und der Mitarbeiterbefragungen um. Die wesentlichen Ziele waren eine Verbesserung der Kommunikation durch Aufhebung der räumlichen Distanz, die Bündelung und Zugänglichkeit von Information durch räumliche Konzentration und eine Reduktion der unproduktiven Zeit.

Faktoren wie Akustik und Raumklima waren genauso wichtig wie die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter. Last but not Least sollte Transparenz und Offenheit mit der Möglichkeit des konzentrierten Arbeitens verbunden werden. So gelang es beispielsweise den Architekten mittels Ganzglaswänden, Arbeitsplätze der Abteilungsleiter räumlich zu separieren, jedoch im Gesamtgefüge transparent zu halten.

Der Auftraggeber entschied sich für Arbeitsplätze mit einer Wandorientierung. Auch eine deutliche Unterscheidung von Büro- und Kommunikationsflächen in öffentlich und nicht-öffentlich war für die Arbeitsprozessanforderungen wichtig. Die Abteilungsstruktur sollte leicht ablesbar bleiben, um Teamzugehörigkeiten zu stärken. Die Geschäftsführung sitzt zentralisiert und besitzt ein Sekretariat mit Rufanbindung.

Bei der Büroeinrichtung entschied sich der Auftraggeber, für dasselbe Programm aus dem schon die Bestandsmöbel stammten. Eine Besonderheit stellen die elektrisch fahrbaren Rollregalanlagen mit Glasverkleidung dar. Acht Konferenztische in Bootsform stehen in den jeweiligen Räumen. Das Modell „Fallon“ stammt vom Hersteller Fröscher. Die Form ermöglicht es, von jedem Platz gleich gut zu sehen. Die Tische sind mit Buchenfurnier überzogen und teilweise elektrifiziert. Dazu gibt es passende Sideboards und Schränke.

Alternativ auf Gestellfüßen oder Sockel sowie mit und ohne Abdeckplatte. 136 rote Konferenz-Freischwinger- Modelle „Pharao 510203“ in Microfaser lieferte der Büromöbelhersteller. Diese sind mit einem Schreibtablar bei Bedarf werkzeuglos nachrüstbar. Dazu kam noch die stapel bare Version in hellblau meliertem Stoff hinzu.

Für den Schulungsbereich wurde das Modell „980er“ in Buche-Dekor vorgesehen und sieben Mal bestellt. Die silberne Elektrifizierung wird via Druckknopf geöffnet. Im Betriebsrestaurant kam 15 Mal der Mehrzwecktisch Modell „980er“ und 60 mal der Mehrzweck-Stapelstuhl Modell „Julia 460102“ zum Einsatz. Der Sitz von „Julia“ ist gepolstert und die Schale in der Sonderfarbe Blau farblackiert. In den Büroräumen wiederum stehen 75 Fröscher Drehstühle Modell „Pharao 510101“ in hellblau meliertem Stoff, mit höheneinstellbaren Funktionsarmlehnen und inklusive Schukra-Bandscheibenstütze sowie Sitztiefenverstellung.

Wichtige Ergebnisse des Soll-Ist-Vergleichs waren auch die Verbesserungen des Raumklimas und des Schallschutzes. Insbesondere Gruppenbüros, Konferenzzentrum, Seminarräume und Betriebsrestaurant wurden durch einen Bauphysiker raumakustisch optimiert. So gelang es, die schallharten Oberflächen durch den Einsatz von Lochdecken, Stoffbespannungen und Teppichen in den Griff zu bekommen.

Eine thermische Gebäudesimulation half dabei, die optimale Dimensionierung der Kühlung und Heizung für den Neubau zu erreichen. Die Konferenz- und Besprechungsräume erhielten eine flächendeckende Ausstattung mit Kühldecken, um die Temperaturspitzen in den Sommermonaten auf ein angenehmes Niveau zu reduzieren. In den Bürobereichen sorgt künftig eine deckenintegrierte Umluftkühlung für ein behagliches Klima, wobei die Planer Sorgfalt darauf legten, technische Erfordernisse mit dem ästhetischen Gestaltungsansatz in Einklang zu bringen.

Sie entwickelten hierzu so genannte integrierte Elemente aus Architektur, Funktion und Technik. Die Luftführung vom Konferenzzentrum und Betriebsrestaurantes s‘Mitowird ganz ohne sichtbare Deckenauslässe über die Lochung der Akustikdecken und einer Absaugung über Schattenfugen im Randbereich bewältigt. Verschattung und Sonnenschutz geschehen über außenliegende Raffstores und werden automatisch gesteuert.

Erschienen: Mensch&Büro, 1/2010