Hierarchien, Patienten und Maschinendenken …

By cjg on 14. Januar 2016 — 4 mins read

„Prozessverbesserung im Krankenhaus zum Wohle des Patienten“. Das war der nicht eben eingängige Titel einer Veranstaltung, die kürzlich mit Ministerialprominenz im noblen „Aachen Quellenhof“ abgehalten wurde.
Handverlesen wirkte denn auch das Publikum und passte gut zum ersten „Aachener Expertengespräch“ der ortsansässigen „Carpus+Partner AG“. Insgesamt  sechs Redner –davon eine Frau- beschäftigten sich aus
unterschiedlichen Blickwinkeln mit einem Thema, dass eigentlich alle angeht, denn wer möchte nicht zu bezahlbaren Preisen bestens versorgt sein im Falle des Falles?

Es wurde schnell klar, was sich die Initiatoren bei der Veranstaltung gedacht hatten. Nicht nur Experten für Planung und Betrieb von Kliniken wollte man zusammenbringen, sondern einen Austausch fördern und für allseitigen Erkenntnisgewinn sorgen. Die Pausen waren in diesem Konzept wichtige Bausteine, denn hier konnten im freien Gespräch die Welten aller Teilnehmer aufeinandertreffen. Sie konnten und sie taten auch, denn aus dem Munde von Krankenhausärzten zu hören, das geradezu bühnenreife Machtspielchen und überkommenes Hierarchiedenken allzu oft die beherrschenden Themen in deutschen Kliniken sind, ringt dem Teamwork gewohnten Planungsfachmann der Neuzeit Erstaunen ab, das hart an der Grenze zum Befremden ist.

Die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, trug ihre Anliegen in drei Hauptfeldern vor: eine Art Anti-Hierarchie-Programm, der Einzug unternehmerischen Denkens in die Kliniken und eine Stärkung der Rolle der Pflege. Ihr war ganz klar, dass die Optimierung von Krankenhäusern nicht eindimensional passieren kann. 25 % der Klinik-Ausgaben entstünden durch die Betriebskosten, war zu hören und vor diesem Hintergrund scheint die Forderung nach krankenhauseigener Verantwortung über die Investitionen folgerichtig. Eingebettet ist dieser ministerielle Plan in die Idee von mehr unternehmerischem Denken, dass zu Transparenz, Vergleichbarkeit und Wettbewerb führt.

Nach diesem „Überbauvortrag“ wurden die Zuhörer ins thematisch kalte Praxiswasser geworfen und fanden sich in der „Prozessorientierung und Kommunikationsarchitektur“ wieder. Günter Carpus machte seine Hauptthese deutlich, wonach das Hauptübel der bisherigen Krankenhausplanung darin läge, die Räume und nicht die Prozesse in diesen Bauwerken zu betrachten. Sicherlich von der Hoffnung getragen, dass die Zuhörer diesem Abstraktionssprung folgen konnten, schlug er eine interdisziplinäre Brücke in die Prozessplanung der Industrie vor und untermauerte das Ganze mit einer Statistik, wonach der Klinikarzt nur 35 % seiner Arbeitszeit wertschöpfend verbringt und die restlichen 65 % mit Angelegenheiten verplempert, die andere viel besser können als er.

Das Anti-Hierarchieprogramm findet auch hier Niederschlag und wird sogar baulich konkret. In Form einer stattlichen Anzahl von Gelegenheiten und Orten zum menschlichen Austausch und der Verwendung von transparenten Baustoffen hält nämlich die sogenannte „Open-Space-Architektur“ Einzug in die Krankenhäuser von morgen.

Diese Planungsansätze seien die Garanten für die Transformation der Industrie- in die Wissens- und Informationsgesellschaft. Wenn Krankenhäuser künftig wie Unternehmen geführt werden sollen und Finanzhoheit besitzen, um Investitionen zu tätigen, müssen Sie nicht zuletzt für die Banken vergleich- und bewertbar werden. Das ist die Stunde der Ratingagenturen. Diese Thematik wurde von Holger Thiemann ausgiebig beleuchtet, indem er die verschiedenen Voraussetzungen für neue Finanzierungswege von Krankenhäusern in den Fokus nahm.

Volker Lowitsch gab einen Erfahrungsbericht zum Besten über seine „Restrukturierungsmaßnahmen“ am Uniklinikum Aachen. Hier war ein kampferprobter Praktiker zu hören, der mit Fragen beschäftigt ist nach Effizienzsteigerung, Wettbewerb, interner Leistungsvergütung oder fehlender Servicementalität. Auf dem Weg vom selbstherrlichen „Bettenanzahlmanagement“ zur unternehmerisch gedachten Budgetorientierung spielt industrielles Prozessverständnis dort eine wichtige Rolle, was nicht zuletzt durch die Einführung der „elektronischen Fallakten“ deutlich wird. Mit einer Spur Süffisanz zeigte Volker Lowitsch allerdings auch die Grenze der Effizienzsteigerung auf, indem er betonte, dass man nun mal keine unrentablen Teile aus Kliniken schließen könne, wie das in der freien Wirtschaft durchaus üblich sei.

Das Centrum für Integrierte Onkologie Köln/Bonn soll nicht nur ein deutsches Pendant werden zu den „Cancer Centers“ in den USA, sondern auch die europäische Nummer eins in Sachen Krebsforschung. Michael Hallek nahm die Zuhörer mit auf einen Ausflug in seinen Alltag und verdeutlichte die „Explosion des Wissens“, neuartige genomische Analysen und individualisierte Therapieformen der Zukunft. Man stehe vor einem „Integrationsprojekt gigantischen Ausmaßes“, so Hallek und die Interdisziplinarität sei in der Krebsforschung keine bloße Option mehr, sondern eine Notwendigkeit. Daraus hat man offensichtlich auch die Konsequenzen gezogen bei der beginnenden Planung des rheinischen Centrums, das durch die Prämissen „Versorgung, Forschung, Ökonomie, Transparenz und Kommunikation“ alle beteiligten Disziplinen der Ontologie in einem Gebäude zusammenfassen soll.

Sieben Stunden Aufenthaltsdauer, um verschiedene Untersuchungen zu durchlaufen, die insgesamt nur eine Stunde dauern, sind die zeitraubende Realität in so manchen deutschen Krankenhäusern. Mit „Lean Management“, so Günter Schuh, könne höchste Qualität bei niedrigsten Kosten und in kürzester Zeit auch in Krankenhäusern erreicht werden. Der Aachener Professor unternahm in seinem Vortrag den wohl deutlichsten Versuch, Know-How aus der Industrie-Prozessgestaltung auf Kliniken zu übertragen. Die Gesetze des „Lean“ lauten u.a. „Takt, Pull- vor Pushprinzip, keine Verschwendung, Kompetenz und Fokussierung“. Der Blick gilt stets dem ganzen Prozess und dessen Ziel – den Patienten und nicht etwa der Einzeloptimierung von Abteilungen oder Teilbereichen.

Die Befähigung, eine große Anzahl von Patienten aufzunehmen, macht eine Klinik zweifellos zu einem künstlichen Großorganismus, d.h. die Idee, diesen „Gesundheitsmaschinen“ mit Industrielogiken beizukommen, greif hier durchaus. Ein fader Beigeschmack bleibt freilich trotzdem, denn Krankheit, Pflege, Ärzte und Medizin haben ja durchaus etwas mit Caritas zu tun und warum sollte es aus diesem Geiste nicht auch zu Lösungen kommen können?

Hierarchiedenken und dessen negative Folgen waren bestimmende Negativgrößen in der Hälfte der Vorträge. Hier tat sich eine Lehre auf, die deutlicher kaum geht: Prozesse im Krankenhaus zu optimieren, geht nicht gegen die Menschen, sondern nur mit ihnen. Dieses partiell auch destruktive Miteinander wird noch zäh und langwierig werden, es bleibt allerdings alternativlos.

Erschienen: Krankenhaus & Management  / 11.2008