Interview mit raumlaborberlin …

By cjg on 28. Januar 2016 — 7 mins read

CJG: Matthias Rick, Sie sind Gründungsmitglied des Berliner
Planungsbüros raumlabor und präsentieren in der aktuellen Ausstellung
„Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit“ das Projekt „Eichbaumoper“.
raumlabor versteht sich als Kreativennetzwerk. Welche Menschen mit
welchen Themen versammeln sich bei Ihnen zum Arbeiten und wie haben sie
sich gefunden?

MR: Wir gründeten uns 1999 und sind alle Architekten. Sechs von uns haben sich schon während des Studiums 1989 an der Technischen Universität Berlin kennen gelernt. Wir gliedern unsere Arbeit in kleine Arbeitsgruppen, d.h., es sind nicht immer alle acht Mitglieder an den Projekten. Jeder von uns verfolgt andere Schwerpunkte und Arbeitsstrategien. So bestimmt sich die Verteilung der anstehenden Aufgaben jedes Mal anders. Während der Erarbeitung eines Projekts suchten wir den Kontakt zu anderen Spezialisten, also zum Beispiel Künstlern, Soziologen oder Handwerkern. Wir selbst verstehen uns allerdings nicht als Künstler, sondern agieren auf vielen Feldern, in vielen Maßstäben und meistens in den Grenzbereichen der Architektur. Wir entwickeln Konzepte und wirken als Architekten, Kuratoren aber auch Stadtplaner. Was wir tun, ist schon sehr komplex, aber genau das begreifen wir als einen wesentlichen Punkt unserer Arbeit.

CJG: Im Projekt „Eichbaumoper“ hat das raumlabor sich einen schwierigen, vielleicht könnte man sogar sagen, einen Un-Ort ausgesucht. Einen technoiden Ort des Verkehrs jedenfalls, der menschenfeindlich wirkt. Nicht wenige Planer beschäftigen sich lieber mit gefälligen Aufgaben. Woher kommt Ihre Zuneigung zu den schwierigen Orten?

MR: Ja, auf jeden Fall. Schwierige Orte ziehen uns förmlich an. Es sind Gebiete, die aufgegeben sind, die in irgendeiner Weise liegen bleiben, die keine Beachtung finden. Oft sind es Orte, die zwischen verschiedenen Systemen, Zeitabschnitten oder Planungsideologien aufgerieben wurden und sich nicht anpassen. Orte eben, die übrig bleiben. Nehmen wir das Beispiel „Eichbaumoper“. Hier haben wir eine typische sog. städtische „Verschnittfläche“, also den Rest einer planerischen Infrastruktur- und Logistikdominanz, die das städtische Leben zu Gunsten des Verkehrs verdrängte. Kanäle, Eisenbahnstrecken und Autobahnen bestimmten dort lange Jahre den Lebensraum. In einer solchen Situation hat man jede Möglichkeit zum Experiment. Das ist sicher auch ein riesiger Vorteil von schwierigen Orten.

CJG:
Im „Eichbaum-Konzept“ fallen die Worte Vision und Erlösung. Auf welchen Horizont ist diese Vision ausgerichtet und hat sie bei Ihnen einen umfassenden Charakter? Will das raumlabor also etwas „heilen“, bzw. gibt es eine Vorstellung von dem, was das Bessere ist?

MR:
Das Wort Erlösung ist mir mittlerweile zu hoch gegriffen, denn wir sehen uns nicht als Heilbringer. Auch Lösungen kommen nicht mir nichts, dir nichts aus dem Hut. Wir versuchen eher, Strategien und Prozesse zu entwickeln, die den Leuten die Möglichkeit geben, mit ihren Orten umzugehen. Die „Eichbaumoper“ ist also auch nicht die Lösung für den Ort, sie kann aber dazu führen, dass die Anwohner in neu verstehen und ihn zurückholen in ihre Mitte.

Denn, obwohl er in der Vergangenheit ein aufgegebener und angstbeladene Raum war, ist er dennoch einer in ihrer Mitte. Einer, den sie nicht vermeiden können, weil sie täglich mit ihm umgehen. Die Geschichte des Ortes und die Geschichten der Leute haben wir zum Ausgangsmaterial genommen, um neue Perspektiven auf diesen Raum möglich zu machen.

Ganz oft beobachten wir, dass wir Orte und Situationen überfordern, indem wir die verschiedenen Denkmuster und Handlungsstrategien überkreuzen. Nehmen wir nur den Kunstbetrieb der Hochkultur, der sich auf einmal mit dem Alltag am „Eichbaum“ und dann auch noch mit dem hässlichen, anonymen und gewalttätigen Alltag konfrontiert sah. Diese Überforderung ist nichts Negatives. Sie provoziert im Grunde genommen dazu, etwas Neues zu finden, das keiner zuvor gesehen hatte.

Eine Vorstellung von dem, was das Bessere ist, haben wir also nicht. Eher eine Vorstellung davon, die Menschen in ihre Vorstellungen zu bringen. Bestenfalls haben wir es geschafft, den „Eichbaum“ wach zu küssen und aus seinem Dornröschenschlaf zu holen.

CJG
: Sie sind kein Architektur- oder Stadtplanungsbüro im herkömmlichen Sinne, sondern eher Experimentatoren, wobei Ihre Versuchsteilnehmer sich nicht nur aus Spezialisten, sondern gleichberechtigt auch aus den Bewohnern zusammensetzen. Mit welchen Konzepten oder Methoden machen sie die beteiligten „Planungslaien“ sprech- und handlungsfähig, damit qualifizierte Ergebnisse erreicht werden?

MR: Wir verwendeten für unsere Arbeit den Begriff „forschungsbasiertes Gestalten“. Der Architekt ist unserer Meinung nach nicht der Meister aller Klassen, sondern derjenige, der die verschiedenen Einflussgrößen kennt und zusammenhält. Letztlich geht es uns stets darum, mit der Stadt und den Bedingungen der Stadt angemessen umzugehen. Die Bewohner und Nutzer sind für uns ebenso Spezialisten, denn keiner kennt sich so gut mit der jeweiligen Situation aus wie diejenigen, die tagaus tagein mit Orten umgehen müssen. Wir können also wertvolle Informationen gewinnen über Geschichten, Ängste, Wünsche oder auch Defizite, die wie ein unsichtbares Geflecht über jeder räumlichen Situation liegen.

Nehmen wir wieder die „Eichbaumoper“. Am Anfang stand die Losung „Eichbaum muss Oper werden“. Das hörten die Leute und zeigen uns den Vogel. Aber gleichzeitig geschah das Denken, begann das Reflektieren. Über einen anfänglichen, kleinen Konflikt sind wir also ins Gespräch gekommen und die Zusammenarbeit konnte beginnen. Wir versuchen, die Schwellen zwischen Experten und Laien möglichst niedrig zu halten und gehen in den Dialog. Wichtig ist dabei, den Menschen Angebote zu machen und sie dort abzuholen, wo sie sind.

Am „Eichbaum“ haben wir z.B. mit der „Opernbauhütte“, einer Containerskulptur, einen Raum geschaffen, in dem Gespräche und Workshops stattfanden. Wir waren also anwesend und haben den Austausch gesucht. Das ist für den „Eichbaum“ unüblich, denn dieser Ort war eher durch das Gegenteil, also durch Abwesenheit, geprägt, weil die Leute so schnell wie möglich von dort weg wollten. Durchgang und Flucht haben wir durch unsere Präsenz unterbrochen. So konnte nach und nach Vertrauen wachsen, denn die Menschen haben gemerkt, dass wir sie ernst nehmen.

CJG: In letzter Zeit mischen sich immer häufiger Anwohner und Betroffene in Bauvorhaben ein, so gab es in Berlin den Widerstand gegen die Bebauung der Spree und aktuell gehen die Leute wegen des Stuttgarter Hauptbahnhofs auf die Straße. Wie beurteilen Sie diese Ereignisse? Handelt es sich um mediale Inszenierungen oder zeigt sich hier ein grundlegendes Defizit? Wie hätte das raumlabor die Menschen in Stuttgart in die Planungen integriert?

MR:
Mir fällt aus der Distanz eine Aussage schwer, wie und ob wir eine solche Eskalation hätten verhindern könnten. Allerdings begrüße ich die Veränderungen der Planungskultur in Deutschland sehr, die sich hier zeigt. Auch an den aktuellen Protesten gegen die neuen Flugrouten von „BBI international“ zeigt sich doch, dass den Leute das Vertrauen in die Politik abhanden gekommen ist. Ein öffentliches Plenum und die darin vollkommen transparent geführten Schlichtungsgespräche, die derzeit in Stuttgart laufen und in Echtzeit im Internet verfolgbar sind, halte ich für extrem interessant und wegweisend. Hier könnte ein Stück Vertrauen wieder gewonnen werden.

CJG: Mit dem, was sie „fetish relational objects” nennen, beschreiben Sie Impulse, die eine Art Initialzündung für Wandlungsprozesse geben sollen. Dieses Konzept ergänzen sie mit zwei anderen programmatischen Elementen, nämlich „transformed urban spaces“ und „situative narratives”. Könnten Sie das Konzept dahinter erläutern?

MR: In diesen drei Kategorien sortieren wir unsere Arbeit. Architekturen funktionieren oft als Art Attraktoren, die die Leute mit einer Situation verbinden. Überhaupt stehen Konstruktionen und Beziehungen im Mittelpunkt bei uns, den ohne Strukturen können Menschen keine Beziehungen aufnehmen. Wir analysieren also die Bedingungen eines Ortes und lassen sie in unseren Entwurf einfließen.

Hier schließt sich das Prinzip „situative narratives” an, in dem wir eine Geschichte entwickeln, in der der jeweilige Ort sozusagen erweitern wird. Dabei fügen wir nichts Fremdes hinzu, sondern markieren neue Möglichkeiten, die aus der Situation und den beteiligten Menschen selbst wachsen. Wir setzen uns also quasi dem Ort aus, entdecken Sachen und benutzen, was wir finden. Das sind Talente, Kreativität von Bewohnern oder auch Materialien. In einem Projekt in Halle haben wir beispielsweise Türen als Baumaterialien verwendet und die Komponisten am „Eichbaum“ fügten aus den akustischen und sonstigen Versatzstücken des Ortes die Oper. Dieses Prinzip greift nun wieder in das, was wir „transformed urban spaces“ nennen. Im Grunde sind diese drei Kategorien ein Zusammenspiel. Vom einzelnen Objekt über die Konstruktionen, Beziehungen und Geschichten bis hin zum größer gefassten, urbanen Wandlungskonzept spannt sich eine Art Handlungsbogen, in dem wir agieren.

CJG: Die Transformation oder Prozessualität scheint das Leitthema der Arbeit von raumlabor zu sein. Funktioniert Ihr spezieller Ansatz eines „forschungsbasierten Entwerfens“ in jeder Stadt oder ist es eher ein Metropolenthema?

MR: Man kann einen Prozess als etwas ganz natürliches sehen. Es gibt ihn immer dann, wenn eine Veränderung des Status quo vorgenommen wird. Es ist nicht wichtig, ob diese Veränderungen in Metropolen oder ländlichen Regionen geschehen. Prozesse sind nie zu Ende, sondern setzen sich endlos fort.

Ich denke auch, dass die Zeit der großen Pläne vorbei ist. Im Alltag der Stadt müssen sich die Architekten 1:1 mit der Situation vor Ort auseinandersetzen – und das ist alles andere als im stillen Kämmerlein überschau- und planbar. Durch enorme Wanderungsbewegungen der Menschen, neue Kommunikationsformen und hohe Mobilität verändern sich die Bedingungen der Stadt rasant. Hier kann kein langfristiger Plan mehr greifen, sondern nur ein integrativer Prozess, den die Planer anstoßen. Die Architektenzunft muss also noch stärker lernen, in den Dynamiken von Prozessen zu denken.

CJG: Matthias Rick, haben Sie besten Dank für dieses Interview!

Erschienen: Deutsche Bauzeitschrift