Kulturökonomie: Von Werten und mehr …

By cjg on 3. Januar 2016 — 25 mins read

Dieser Text wird sich im ersten Teil mit der Erörterung der Thesen des Boris Groys zur „kulturökonomischen Logik“ beschäftigen, die der Autor in „Über das Neue – Versuch einer Kulturökonomie“ niedergelegt hat. Im Abschnitt „Reflexion“ wird die o.g. Theorie in den Kontext von Kultur, Werten und Wandel von Werten eingeordnet…

I. Theorie zur Kulturökonomie

1. Grundannahmen
1.1 Gesellschaften und ökonomische Prinzipien
1.2 Werthierarchien und Kulturdefinition
1.3 Der Irrtum der verborgenen Realität

2. Kulturökonomische Logik
2.1 Profaner Raum versus kulturelles Archiv
2.2 Der Prozeß der Neuerung
2.3 Von der Umwertung der Werte
2.4 Kreativität und verborgene Realität
2.5 Kreativität und kulturökonomisches Prinzip

3. Grenzbetrachtungen
3.1 Von der Beweglichkeit der Hierarchiegrenze
3.2 Massenkultur und ökonomische Logik

II. Reflexion

1. Identität und Kultur

2. Werte und Kategorien

3. Linien
Linie 1 – Extrakte
Linie 2 – Einzelne
Linie 3 – Ästhetik
Linie 4 – Pandora

I. Theorie zur Kulturökonomie

1. Grundannahmen

Nachfolgend drei zum Verständnis der Theorie wesentliche Konstrukte des Autors.

1.1 Gesellschaften und ökonomische Prinzipien

Der Begriff der Ökonomie bzw. der ökonomischen Prozesse ist in der gesamten Groysschen Argumentation von entscheidender Bedeutung.
Philosophisch gedeutet ist Ökonomie der Prozeß, ein Maximum von Erkenntnissen mit einem Minimum von Begriffen und Urteilen zu erreichen. In der marxistischen, politischen Ökonomie wird der Begriff dazu genutzt, Prozesse der Erzeugung und des Austauschs menschlicher Güter im allgemeinen zu beschreiben. (1)

In der marxistischen Deutung sind Menschen demnach in einer ökonomischen Struktur der Gesellschaft und in Abhängigkeit von ihrer materiellen Produktionskraft. Die ökonomische Struktur ist die Basis auf der sich auch alle immateriellen, geistigen Erzeugnisse der Gesellschaft befinden.
Der Groyssche[nbsp] Ökonomiebegriff lehnt daran an.
Die Menschen seien der Logik der Ökonomie unterworfen. Die Systematisierung der Ökonomie sei der Handel. Es sei außerdem nicht möglich, sich der Ökonomie zu entziehen und sie von außen als geschlossenes System zu beschreiben oder zu beherrschen. Ökonomie sei nicht alleine Macht, sie sei älter und umfassender. Macht sei selber nur innovative Ausprägung[nbsp] der Ökonomie.
Nach Groys ist das Neue auch in der Wirkung ökonomischer Zwänge, die das Leben einer jeden menschlichen Gemeinschaft bestimmen. (2)

1.2 Werthierarchien und Kulturdefinition

Dem Autor folgend, äußerten sich ökonomische Strukturen ebenfalls in der Existenz eines hierarchischen Wertesystems, wobei auch der Handel der Werte innerhalb bestimmter Werthierarchien als Symptom von allumfassenden ökonomischen Prozessen angesehen werden könne. Er beschreibt dies als die ökonomische Logik. Dieser ökonomischen Logik folgend, sei jede Kultur hierarchisch aufgebaut. Jeder Wert werde durch die Stellung in einer Hierarchie bestimmt. Jede kulturelle Tradition habe demnach ein eigenes Erinnerungs- und Erhaltungssystem und Auswahlprinzip, jede Kultur bestehe aus verschiedensten Subkulturen mit eigenen o.g. Mechanismen.
Kulturelle Gedächtnisse wiederum seien Archive, Museen, Bibliotheken. Sie seien in der Obhut hierarchisch gegliederter Institutionen, die für Auswahl wertvoller Kulturmuster sorgten und ebenfalls für die Entfernung veralteter. (3)

1.3 Der Irrtum der verborgenen Realität

Der dritte wichtige Kerngedanke der Groysschen Kulturökonomie ist das Bestreiten einer wahrhaft umfassenden, jedoch verborgenen Realität, die sich nur durch „erleuchtete“ Momente der Kreativität bahnbrechen könne, um auf diese Weise die Wahrheit in Form des Neuen zu manifestieren.
Die Prozesse der Innovation seien ausschließlich auf die Vorgänge der Logik der Ökonomie zurückzuführen, sie geschähen durch Infragestellen der Hierarchiegrenzen bei gleichzeitigem Akzeptieren derselben innerhalb der ökonomischen Gliederung. Sie hätten nichts mit einer kreativen verborgenen Urwahrheit oder Realität zu tun, die die Hierarchiegrenzen verschwinden lasse.
Versuche der Hierarchieüberwindung geschähen im klassischen Sinne durch das Streben nach der Entdeckung der allen Dingen zugrunde liegenden Identität (Platon: „ die Seele erinnert sich an die Wahrheit, die ihr noch vor der Geburt in der Welt, noch vor dem Beginn jedweder Tradition, noch vor dem Beginn der Welt als solcher gegeben ist.“) und im modernen Sinne durch Dekonstruktion der Oppositionen im unendlichen Spiel der Differenzen.

Die Gleichheit in der Differenz sei genauso ideologisch und utopisch, wie die Gleichheit in der Identität früherer Zeiten. Das Neue stelle sich in den Gegensatz zur Vergangenheit genauso wie zur Zukunft. Die heutigen Produzenten des Neuen hätten kein Bestreben zur ewigen Allgemeingültigkeit ihrer Thesen mehr, sie zielten nur noch auf die schnelle Konservierung durch das kulturelle Gedächtnis. Dieses geschähe als Reflex des Selbstschutzes der eigenen Originalität vor der Zukunft im Unterbewußtsein ihrer eigenen Unwichtigkeit und Banalität. (4)

2. Kulturökonomische Logik

2.1 Profaner Raum versus kulturelles Archiv

Der Autor erkennt im dynamischen Begegnen zweier ökonomieabhänig gebildeter[nbsp] gesellschaftlich- kultureller Haupthierarchien das entscheidende Funktionsprinzip jedweder Neuerung.
Das Prinzip der Kulturökonomie sei demnach ambivalent und bestehe aus dem Spannungsfeld zwischen Werthierarchie, der Welt der Kultur, der kulturellen Tradition, dem kulturellen Gedächtnis einerseits und andererseits der Welt der Normalität, des Banalen, Alltäglichen, Profanen- dem Außerkulturellen.

Alles außerhalb der kulturellen Archive sei der außerkulturelle, profane Raum, welcher sich extrem heterogen darstelle und aus einer großen Anzahl von Verschiedenheiten bestehe.
Der profane Raum diene als Reservoir, er sammle alles Wertlose, Unscheinbare, Uninteressante, Außerkulturelle, Irrelevante und Vergängliche in ihm fände das vom Archiv Andere statt. (5)

2.2 Der Prozeß der Neuerung

Der Ursprung des Neuen ist nach Groys der valorisierende (lenkende und beeinflussende) Vergleich zwischen den kulturellen Werten und den Dingen im profanen Raum.
Mechanismen des Neuen seien Mechanismen, die das Verhältnis zwischen dem valorisierten, hierarchisch aufgebauten kulturellen Gedächtnis einerseits und dem wertlosen profanen Raum andererseits regelten. Der Vergleich der Wertgrenzen ließe sich als Abwertung der kulturellen Werte genauso lesen, wie als Aufwertung des Profanen.

Das Infragestellen der Kultur durch das Profane täte ihr keinen Abbruch, schade dem archivierten Fakt nicht, sei gewünscht und diene der ständigen Weiterentwicklung des kulturellen Gedächtnisses.
Der Autor macht hier allerdings ebenso deutlich, dass nicht jedes Ding des profanen Raumes die nötige Qualität besitzt, um in den Prozeß der valorisierenden Vergleichung zu gelangen.
Das bloß Andere müsse nicht automatisch kulturell wertvoll werden. Das bloß Andere ohne wesentliche Aussage addiere sich zur pluralistischen Masse der vorhandenen Differenzen, aus der keinerlei sinnvolle Aussage getroffen werden könne. Es scheine nichts Anderes zu geben, das interessant, relevant, wertvoll sein könne und dem Identischen als wesentlicher Unterschied gegenüberstünde.
Das Neue unterscheide sich vom bloß Differenten, es stelle eine Beziehung zum kulturellen Archiv her. Das Neue werde als anders, aber zugleich als genauso wertvoll aufgefaßt, wie das im Archiv sich Befindende. Das Neue in der Kultur gehe dem Differenten voraus, es sei keine Manifestation desselben. (6)

2.3 Von der Umwertung der Werte

Die in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Grundzüge der Groysschen Kulturökonomie münden in den Satz von der Umwertung der Werte als[nbsp][nbsp] allgemeiner Mechanismus der Neuerung.
Die Kulturgeschichte sei eine Geschichte der Vergleiche. Jeder historisch konkrete Vergleich zwischen Wertvollem und Profanem wäre stets örtlich und zeitlich begrenzt. Und eben diese Vergleiche gingen als wertvoll in die kulturellen Archive ein. Jede Innovation habe immer nur mit einem sehr beschränkten Fragment der Kultur und einem sehr beschränkten Fragment des profanen Raumes zu tun. Kulturelle Werte seien nichts anderes als archivierte Erinnerungen an die Ereignisse der Umwertung der Werte.
Die Innovation sei also Umwertung der Werte, Längenveränderung von einzelnen Dingen hinsichtlich der Wertgrenzen, welche die valorisierten kulturellen Archive vom profanen Raum abtrennten. Die Menschen würden nur das Vorhandene, Profane variieren. Das Neue sei nur das Ergebnis der Interpretation oder Neubewertung überlieferter Fakten des profanen Raumes als Vorstufe des Wirkungsbeginns der Mechanismen der Logik der kulturellen Ökonomie. (7)

2.4 Kreativität und verborgene Realität

Der Autor bestreitet das Erfordernis von dem, was wir gemeinhin unter Kreativität verstehen. Kreativität funktioniert für ihn nur in der Entsprechung der kulturökonomischen Prozesse und als selbstbezüglich, schöpferischer Akt. Es gibt für ihn keine wertübergreifende verborgene Realität und kein kreatives, wertfreies Globalprinzip.
Erklärungsmodelle der Kreativität oder des Neuen gründeten sich zumeist auf die Annahme, man erschließe in den entsprechenden Momenten einen allumfassenden Quell, – Kreativität also als Ausdruck des temporären Teilhabens an einem universalen Gesetz, wobei dieses angeblich erreicht würde, durch das Schöpfen aus dem Nichts oder im totalen Exzeß.
Das Streben nach der einen Urkraft bzw. das Erklären der Prozesse der Neuerung in der Zurückführung auf einen temporär erreichbaren Quell der Kreativität, der quasi außerhalb von allem stehe, habe zur Folge, dass neben dem Wegfallen der Werthierarchien und Bewertungsmaßstäbe auch der damit verbundene Fakt der Unterscheidung obsolet würde.
In diesem Zustand totaler Egalisierung wäre jede Frage nach Innovation überflüssig, das Kulturelle und das Profane würden eins.

Nach Groys haben alle üblichen Definitionen von Neuerung durch Kreativität die Verweigerung einer Hierarchisierung der kulturellen Prozesse und die Annahme zum Inhalt, dass der Mechanismus der Kreativität oder des Neuen die Grenze zwischen Wertlosem und Wertvollem verschwinden läßt, dass sie quasi durch eine wertübergreifende Offenbarung des Verborgenen annulliert wird.

Dieses wiederum sei aber ein großer Trugschluß, denn die ganze Geschichte zeige, dass es nie das rein Profane und nie das rein Kulturelle gegeben habe, dass Elemente des einen oder anderen in jedweder Konstellation sichtbar wären. Jedes Werk sei in sich selbst gespalten, immer blieben zwei Wertschichten erhalten, die nicht miteinander verschmelzbar seien. (8)

2.5 Kreativität und kulturökonomisches Prinzip

Die Wirkung der Werke entstehe aus der Spannung der verschiedenen Wertebenen selbst. Je größer die Spannung, desto größer die Wirkung. Werke, in denen sich der höchstmögliche kulturelle Anspruch mit den profansten, unbedeutendsten, wertlosesten Dingen verbinde, hätten eine starke Ausstrahlung, würden als radikal neu empfunden und hätten die größten Chancen, in die kulturellen Archive aufgenommen zu werden.

Nicht das Prinzip der Synthese und somit der Infragestellung aller Wertgrenzen ist die Maßgabe der kulturökonomischen Logik, sondern das Erzeugen eines Spannungsfeldes bedingt durch das Überschreiten der dazu unbedingt erforderlichen Wertgrenzen und Hierarchien. Mit der Zeit läßt dieses Neuerungs-potential nach, die Innovation wird archiviert, die Wertgrenzen verschieben sich erneut und schließlich wird die nächste Innovation fällig.

Die o.g. Theorien zur Kreativität hätten die wichtige Rolle, den Wertanspruch zu definieren. Nur die Tatsache, dass die Erschaffer dieser Dinge als Agenten oder Erfüllungsgehilfen der kulturökonomischen Logik aufträten, mache sie ebenfalls archivwürdig. Ihre übrigen persönlichen Intentionen, Anliegen, Gefühle oder Strategien seien in dieser Hinsicht irrelevant, obwohl sie zum Reiz ihrer Werke für den eventuellen Konsumenten durchaus zusätzlich beitragen könnten.(9)

3. Grenzbetrachtungen

3.1 Von der Beweglichkeit der Hierarchiegrenze

Wie funktioniert nun die Groyssche Kulturökonomie in unserer Welt der Vielheit und Differenz?
Unsere Zeit werde als eine Zeit der totalen pluralistischen Gleichheit beschrieben. Die Gleichheit in der Andersartigkeit, die jeden Wertunterschied ausschließe. Nach dieser Auffassung habe sich die Grenze zwischen valorisierter Kultur und dem profanen Raum in eine endlose Zahl von partiellen und nicht- hierarchischen Unterschieden zersetzt. Dabei werde jedoch die valorisierte Kultur in der Tat ständig weiter zentralisiert und institutionalisiert. Heute könne man überall auf der Welt die gleichen Namen antreffen, in Museen, auf Symposien oder in Konzertsälen. Die tatsächliche Gleichheit in der Kultur, die von der weltweiten Verflechtung der Archivierung und der medialen Verbreitung begleitet werde, nähme ständig zu. Zugleich beschrieben manche Theoretiker die Kultur der Gegenwart als egalitaristisch, rein pluralistisch und beliebig.

Der Unterschied zwischen der valorisierten Kultur und dem profanen Raum verändere sich ständig. Was man eben noch für Kultur hielt, erweise sich nach seiner Massenverbreitung als profan. Und umgekehrt, was eben noch profan und verschmäht war, sei plötzlich valorisiert und müsse besonders sorgsam aufbewahrt werden. Weder könne die Überwindung der Grenze zwischen dem Kulturellen und Profanen durch eine dritte universelle Kraft garantiert werden, noch würde diese Grenze selbst durch irgend etwas garantiert. Im Gegenteil, sie ändere ständig ihren Verlauf. Infolgedessen sei auch das Neue jedesmal aufs neue möglich, da jene Grenze, gegenüber der es sich definiere, jedesmal wieder neu sei, und zwar abhängig von den vorausgegangenen Innovationen.

Die valorisierte Kultur habe sich dank der modernen Medien in den profanen Raum ausgebreitet und ihn damit verdrängt. Sie habe ihn zunichte gemacht und alle potentielle Originalität und kulturelle Produktivität in ihm selbst ausgemerzt. Hier ginge es nicht mehr um die Toleranz der valorisierten, privilegierten Kultur, sondern um ihre verstärkte Aggressivität. Die valorisierte Kultur habe nicht nur die Ressourcen des profanen Raumes ausgeschöpft, sondern diesen Raum auch selbst mit ihren eigenen Erzeugnissen angefüllt. Da auf diese Weise die gesamte profane Wirklichkeit nach dem Muster der herrschenden kulturellen Vorstellungen ästhetisiert, stilisiert und modelliert worden sei, könne man heute nicht mehr vom Profanen sprechen. (10)

3.2 Massenkultur und ökonomische Logik

Nach Groys ist der Prozeß der Neuerung keine Einbahnstraße, sondern funktioniert in beide Richtungen, indem Dinge ins kulturelle Archiv erstmalig überspielt, ausgestoßen und nach gewisser Zeit und bestimmten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen rearchiviert werden können.
Die Kritik an der modernen Massenkultur könne elitär und undemokratisch erscheinen, doch bezeichnenderweise ermögliche gerade sie, einzelnen Erscheinungen der Massenkultur wieder einen valorisierenden kulturellen Status zu erlangen- nunmehr als profane Dinge. Wenn kulturelle Werte eine Zeitlang in der Massenkultur profaniert worden sind, könnten sie, sobald ihre Profanität ein bestimmtes Maß erreiche, wieder valorisiert werden – als neue kulturelle Werte, verglichen mit ihren früheren Vorbildern. Gerade das negative Verständnis von Massenkultur als Kitsch und als eine Art von Zivilisationsmüll mache den Weg frei für die Ästhetisierung und Valorisierung der Massenkultur im Sinne des kulturellen Gedächtnisses. Das die außerkulturellen Plagiate der hohen Kultur als absurd, lächerlich, nutzlos, häßlich, trivial, platt oder provinziell beschrieben werden, eröffne nur die Möglichkeit, gerade diese Eigenschaften zu ästhetisieren.

Alles, was kulturell valorisert sei, könne in der Folge auch kommerzialisiert werden. Doch alles, was kommerzialisiert werde, verliere seinen kulturellen Wert. Deshalb könne und müsse es dann als Profanes erneut valorisiert werden. Valorisierung und Kommerzialisierung kompensierten einander nicht nur, sondern würden ihrerseits ständig gegeneinander ausgetauscht. (11)

II. REFLEXION

In der Folge wird versucht, die Groyssche Hauptthese vom Neuern durch Überschreiten der Kategoriegrenzen (siehe 2.2) in den Kontext von Kultur, Kulturentwicklung, Werten sowie Wandel von Werten zu stellen und auf heutige Zustände zu reflektieren.

1. Identität und Kultur

Menschen leben in der Regel in Ordnungen oder Kulturen. Kulturen entstehen, werden über viele Generationen entwickelt, sind veränderlich. Um die Unsrige zu verstehen, ist es nötig, sich mit ihren Prämissen zu befassen.
Unsere Weltsicht kommt nicht aus dem luftleeren Raum. Sie ist zu einem nicht unerheblichen Teil Ergebnis der Adaption spezifischer kultureller Erinnerungsmuster bzw. Reaktion auf grundlegende kulturelle Mechanismen. Es gibt eine komplizierte Wechselbeziehung zwischen Ich und Wir. Das Ich besteht zum größten Teil aus Erinnerungen. „Erinnerungen, auch persönlichster Art, entstehen durch Kommunikation und Interaktion im Rahmen sozialer Gruppen. Ein einzeln und isoliert aufgewachsener Mensch braucht kein Gedächtnis[…]Die Empfindungen sind eng an unseren Körper geknüpft, während die Erinnerungen notwendig ihren Ursprung im Denken der verschiedenen Gruppen haben, denen wir uns anschließen.“(12) Es existiert ein ununterbrochener Kreislauf eines Außen, das nach Innen und wieder nach Außen gespült wird. Erinnerungen im Innen werden im Gedächtnis der Menschen[nbsp] gespeichert. Die Bewahrung der Außenerinnerungen übernimmt ein kulturelles Gedächtnis, welches[nbsp] meist institutionellen Charakter hat. „Dem kulturellen Gedächtnis kommt die Aufgabe zu, Kategorien zu fassen und ihren Gesamtsinn zu überliefern. Das kulturelle Gedächtnis speist die Tradition und Kommunikation, geht aber nicht darin auf.“(13) In dem, was wir Kultur nennen, spielt die Erinnerung eine sehr wichtige Rolle. Die Erinnerung läuft vorwärts genauso, wie rückwärts. Sie stiftet Identität.[nbsp] Sie rücküberspielt vergangene identitätsstiftende Erinnerungen. Diese Elemente werden meist als neu empfunden, weil sie aus unserem aktuellen Umfeld verschwunden waren. Der Prozeß der Regewärtigung ist äußerst dynamisch. Das kulturelle Gedächtnis besteht aus vielen Teilgedächtnissen. Jedes Teilgedächtnis hat sein eigenes Erinnerungspotential. Das Außengepräge übernimmt in allen Fällen die Sprache. Sie faßt, begrenzt, ordnet das, was die Gruppen als Wirklichkeit empfinden. Sie ist die Basis. Verschiedene Gruppen sprechen zwar die gleiche Sprache, können Wirklichkeit aber grundsätzlich verschieden sehen. Erinnerungen haben zeitliche und soziale Bezüge. Aus diesen entstehen[nbsp] zwischen den einzelnen Gruppen große Differenzen über das, was identitätsstiftend ist. Das kulturellen Gedächtnis ist in permanenter Bewegung. Die Platzhalter des kulturelle Gedächtnisses sind die kulturellen Archive (Museen, Bibliotheken etc.) Das Sammeln und Bewahren war schon immer eine Hauptaufgabe der Identitätssicherung. Gruppen geben sich durch Erinnerungen ihren Sinn und ihre Sprache. Das Hüten der Erinnerungen war immer ein besonderer Akt und stets verbunden mit Macht und Status.

2. Werte und Kategorien

Bewußtes Handeln erfolgt zum großen Teil auf der Grundlage unserer Prägungen. Menschliche Prägung ist u.a. abhängig von überlieferten Erinnerungen. Erinnerungen stiften Sinn. Sinnvoll zu handeln, ist erstrebenswert, also wertvoll. Hier ist die Basisunterscheidung wertvoller Handlungen und wertloser. Darauf gründend geben sich Kulturen Maßstäbe. Sinn- und wertvoll Handelnde werden mit Macht und Status versehen. Macht und Status werden als positiv empfunden.

Aus diesem Verhalten wiederum ergeben sich die Hierarchien. Wertbildung und Hierarchisierung sind also grundlegende menschliche Verhaltensweisen. In diesem Lichte treten die Groysschen Gedanken zur Wert- und Hierarchiebildung sowie zur Kategorisierung und Einordnung von Werten innerhalb des kulturellen Prozesses deutlicher hervor. (siehe 1.2; 3.1) Kulturen sind wachsende und werdende Gebilde. Es kommt natürlicherweise zu Bewegungen und Verschiebungen der Bewertungsgrenzen und Kategorien. Wie? Die Betrachtung der Ich-Wir-Beziehung macht die Komplexität der Verschiebungen deutlich. „Ein Ich wächst von außen nach innen, es wird gebildet durch Interaktion und Kommunikation der Gruppe. Die Wir- Identität existiert nicht außerhalb der Individuen, die dieses Wir konservieren und tragen. Sie ist eine Sache individuellen Wissens und Bewußtseins. Der Teil hängt vom Ganzen ab und gewinnt seine Identität erst durch die Rolle, die er im Ganzen spielt. Das Ganze aber entsteht erst aus dem Zusammenwirken der Teile.“(14) Es kommt zu Wechselwirkungen in beide Richtungen. Ein Teilgedächtnis oder eine bestimmte Gruppe kann auf die Gesamtheit wirken. Ihre Erinnerungen werden ins Kollektivgedächtnis überspielt. Dieser Prozeß hängt natürlich mit der Möglichkeit zusammen, ein Wirken den Anderen deutlich zu machen. (Eine große Rolle spielen hierbei heutzutage die Medien.) Es waren immer die Hüter von Status und Macht, die ihre Erinnerungen transportierten. „In jedem kulturellen Prozeß spielt die Allianz zwischen Herrschaft und Erinnerung eine wichtige Rolle.“(15)
Theoretisch ist es also möglich, dass jedes Subjekt Einfluß auf die Gesamtheit hat. Wie? Wie verschwindet eine Erinnerung aus dem kulturellen Gedächtnis und wie kommt sie wieder herein? Warum kommen nur manche Erinnerungen zurück?

Möglicherweise mit einem Dreiklang zwischen „Vergänglich-Abfall- Dauerhaft“(16) Ein Dreiklang der versucht, die Hauptkategorien der Bewertungen innerhalb des kulturellen Gedächtnisses zu beschreiben. Der Abfallzustand ist für den Autor dieser Theorie der Zustand, in dem die Dinge oder Erinnerungen ruhen. Sie sind quasi aus dem kulturellen Gedächtnis entschwunden, aber nicht verschwunden. Der bewertende Übergang bewegt sich über zwei Grenzen- „wertlos und wertvoll / verborgen und sichtbar“.(17) Ein Dornröschenschlaf der kulturellen Elemente. Durch das Regewärtigen von Formen und Gedanken werden dieselben wieder und wieder als neu empfunden. „Damit das Vergangene gewärtig wird, muß es Zeugnisse geben und diese Zeugnisse müssen eine charakteristische Differenz zum Heute aufweisen. Diese Differenz muß so groß sein, dass Erinnertes als Eigenes, Unterschiedliches zum Aktuellen begriffen wird und nicht als bloße Variation.“(18) Dieses funktioniert in zeitlicher sowie sozialer Blickrichtung. Die Erinnerungen einer bestimmten Gruppe, die relevant waren, wurden ersetzt. Die verdrängten Erinnerungen sind nun nicht mehr kollektiv bewußt. Sie sind nicht gegenwärtig und ruhen. Manche schaffen den Wiederaufstieg. Andere verschwinden endgültig. Aber welche schaffen die Wiederbelebung und warum? Michael Thompson bemüht zur Klärung den Zufall und die Chaostheorie. (19) Exzentriker vollzögen individuelle, kreative Sprünge und seien so die ersten Glieder in der Kette einer ästhetischen Bewertung. Der physikalische oder ökonomische Wert habe in diesem Prozeß keine Relevanz. Ein zunehmender ökonomischer Wert stelle sich dann ein, wenn die Dinge in die Kategorie des Dauerhaften eingetreten seien. Dieses würde wiederum begleitet von einer kollektiven Steigerung des ästhetischen Wertes.

Die Exzentriker stützen sich allerdings auch nur auf Regewärtigungen. Sie sind lediglich schneller, als die Anderen . Die Deutungen dessen, was neu genannt wird, sind immer mit Werten, Hierarchien und Grenzen verbunden. Das Überschreiten von Grenzen und Bedeutungen ermöglicht die (Wieder)- Bewertung bestimmter Elemente. Dieser Prozeß ist äußerst dynamisch. Eine Vielzahl von Erinnerungen, ob materiell oder immateriell , sind latent vorhanden, jedoch nicht latent präsent. Der Groyssche Satz vom Valorisieren der Dinge über Hierarchiegrenzen hinweg basiert auf der gleichen Annahme.(siehe 2.3) Groys konstruiert allerdings keine Zwischenkategorie. Er spricht zwar vom nötigen Spannungsfeld, das eine Neubewertung und Grenzüberschreitung möglich macht (siehe 2.5), bleibt aber die genauere Beschreibung dieses Vorgangs schuldig.

3. Linien

Linie 1 – Extrakte

Kann jede der unzählbaren Erinnerungen der unzählbaren Gruppen kollektiv bewußt werden? Nein, nur die wertvollen, sinnstiftenden. Sie werden von den jeweiligen Gruppen als bewahrungswürdig empfunden und ausgewählt. Was ist aber mit dem Trinkbecher aus der Römerzeit, steht er heute nicht im Museum? Warum ist dieser nicht- sinnstiftende Becher heute wertvoll? Er hat den Sprung ins Dauerhafte geschafft. Gibt es denn überhaupt Profanes? Ja und Nein. Die soziale und die zeitliche Dimension sinnstiftender Dinge, Erinnerungen sind unabhängig voneinander. Der Dornröschenschlaf kennt keine Zeit. Das Ding verfällt oder es wird dauerhaft, somit würdig. Ein Ding kann durch seine zeitliche oder soziale (Wieder)- Bewertung (re)- gewärtig werden. Transportiert, bewußt gemacht, der Bewertung ausgesetzt, somit wirkend. Gesellschaftliche Grundtendenzen oder Änderungen (Kriege, Revolutionen, Technik etc.) spielen dabei auch eine große Rolle. Wie viele unterschiedliche Erinnerungen können bewußt sein? Unendlich viele, aber immer ist das positiv Bewertete mit Macht, Prestige und Status verbunden. Wird das Prestige erzeugt? Ja, durch dynamische Interaktion des Teils mit dem Ganzen in beide Richtungen. Wer kann Prestige erzeugen? Jeder, leichter aber der, der entsprechende Instrumente hat (Medien). Ist ein Trinkbecher von „Ikea“ würdig? Noch nicht. Wenn er interagierend in die Gewärtigung gerät, dann vielleicht. Gibt es einen wirklichen Wert? Vielleicht, aber wir begnügen uns mit dem künstlichen, konstruierten. Das ist der meisten Wirklichkeit. Muß ein Ding gut oder edel sein, um bewußt zu werden? Heute traut sich keiner mehr zu sagen, was gut oder edel ist. Die Gewichtung des Einzelnen erzeugt die Gewichtung der einzelnen Meinung. Was ist das Neue? Unserer Wirklichkeit einverleibtes, (re)- gewärtigt, so der Bewertung ausgesetzt.[nbsp] Grenzüberschreitung als überraschungsähnlicher Akt, der zur Bewertung führt. Das, was präsentiert und transportiert wird, wird bewertet und für Etliche als neu empfunden.

Linie 2 – Einzelne

Beispiel Kunst. Immer schon mit Status verbunden, also dienend, befördernd. Mit der Renaissance der Beginn der Verschiebung der Kunst vom erfüllenden Dienst an einer höheren Ordnung zur Filterung durch das künstlerische Subjekt. Die Erschaffung des Selbst wird Programm. Anstelle einer Ordnung nun viele, allesamt verknüpft mit Macht und Status.
Eine Einzelheit wird aus dem Gefüge entfernt, isoliert, anders gruppiert. Sie erzeugt so das Überraschungspotential zur Bewertung durch Grenzüberschreitung. Das künstlerische Subjekt tut dieses. Es soll es tun. Das Neue, eine Bewertung des veränderten Vorhandensein sinnstiftender, wertvoller Dinge. Die Bibliotheca Laurenziana in Florenz. Michelangelo der erste Dekonstruktivist. Der Einzelne wurde wichtig. Der Einzelne wurde sich selbst gewahr – und unheimlich:

Ist wahr die Hoffnung, die du mir verleihst,
Ist wahr die Sehnsucht, die ich, Herr, dir weihe,
Fällt zwischen uns schon bald die Mauerreihe,
Weil sie mein Schmerz, der sich verhüllt, zerreißt.(20)

Vielleicht, daß ich des Nächsten Leid empfinde,
Daß ich nicht mehr der anderen Schuld verlache,
Weil meinen Wert zum einzigen Maß ich mache ,
Fiel meine Seele in die tiefsten Gründe.(21)

Der Einzelne ist unsere Vergangenheit, begleitet uns ins Heute. In den Nachmittags- Talkshows, den endlosen Fotoalben, der Spiegelflut in den Behausungen – der Einzelne.

Linie 3 – Ästhetik

Der Einzelne erzeugt das Sinnstiftende. Sinn und Identifikation durch etwas, das nur aus dem besonderen Einzelnen kommt. Das Genie war geboren. Die Kunst wurde zum wertvollen und fremden Etwas. Kunstproduktion und Rezeption sind Merkmal der Geschichte des Einzelnen. „Sakrale Kunst wurde kollektiv produziert und rezipiert, war Teil der Lebenspraxis, diente dem Kult. Höfische Kunst wurde individuell produziert und kollektiv rezipiert, diente dabei der Repräsentation Einzelner. Bürgerliche Kunst hingegen wurde individuell produziert und rezipiert. Sie diente Einzelnen, kam vom Einzelnen und wurde von wenigen Einzelnen gesehen.“(22) Der Einzelne nimmt sich wahr, sieht in viele Spiegel.[nbsp] Er sieht sich isoliert. Entfernt, bei großer Nähe. Eine ausschließende Nähe. Was bleibt ihm? Die Ästhetik. Sie ist sein Leuchtfeuer. „Die ästhetische Erfahrung ist die positive Seite jenes Prozesses der Ausdifferenzierung[nbsp] des gesellschaftlichen Teilsystems Kunst, dessen negative Seite der gesellschaftliche Funktionsverlust des Künstlers ist.“(23) Die Kunst hat ihre herausragende, identitätsstiftende Rolle verloren. Die Ästhetik als Haltepunkt des Einzelnen hat sie zum Teil unter Teilen gemacht. Die Ästhetik schwebt über allem. Identifikation geschieht heute zum großen Teil darüber. Sie ist die Folge der Entwicklung des Einzelnen, ihr Segen, ihr Fluch. Gibt es Profanes? Es kommt auf die Perspektive an. Mehr als diese Antwort scheint heute nicht möglich!?
Eine Intention der Avantgarde am Anfang des 20. Jh., die „Rückführung der Kunst in die Lebenspraxis“(24) scheint mißglückt. Die Kunst ist isoliert.

Linie 4 – Pandora

Das kulturelle Gedächtnis existiert. Identitätsstiftung, Sammlung, Bewahrung, Reservoirfunktion bleiben wichtige Aufgaben. Wer hat heute genügend Macht und Status? Wer will repräsentieren, hält seine Erinnerungen für wertvoll? Was kommt nach der bürgerlichen Emanzipation? Verschmelzen der Einzelnen zur Masse? Der Massengeschmack? Zu viele Erinnerungen? Omnipräsente, materielle sowie immaterielle „MilleniumDomes“ als gemeinsame Nenner? Der banale Rest abendländischer Selbstvorstellung? Das Ende der Einzelheit? Nie Einzeln gewesen? Die allumgebende „geistlose Freiheit des Meinens“(Hegel) als eine narkotisierende Ästhetiksimulation zur optimierten Grablegung des siechenden Einzelnen? Der telematische Exhibitionismus (Big Brother, WebCams etc.) als die scheinbar letzte Möglichkeit der Individualitätskonstruktion? Wieder nur leere[nbsp] Hülsen? Einige mehr gewahr als sonst? Wieder nicht selbst geträumt? „Ich werde gesehen, also bin ich“(25) als die Losung der wahrlich Resignierten, Erschreckten, Schlaflosen?

Die Allianz von Konsum und Ästhetik erzeugt ein mächtiges Teilgedächtnis. Der Konsum wirkt wie ein Beschleuniger. Erinnerungen werden präsent, die Übelkeit provozieren. Identität in der Verneinung. Wieder der gleiche Mechanismus. An die Stelle von Erinnerungen treten Dinge, die verkauft werden sollen. Wertlose Erinnerungen werden zu wertvollen erklärt. Im Namen der Ästhetik. Was Geld bringt, bringt Sinn. Sinn wird simuliert. Eine Eintagsfliege löst die Nächste ab. Unrat schwemmt im profitablen Strom der Gewinnaussicht an die Oberfläche des kulturellen Gedächtnisses. Die Simulation des Neuen als Instrument. Der kleinste gemeinsame Nenner wird gesucht (schnell, bunt, laut, libidinös). Im Namen der Ästhetik. So wird der Einzelne wieder verschmolzen. Im klebrigen Gemenge archaischer Reize feiert er die eigene Kastration und ist dabei vom Gegenteil überzeugt.
Überraschungseffekt durch Präsentieren als der Weg zur Bewertung. Das Meer der Möglichkeiten als unerschöpflicher Quell der Neuerung. Das Meer der Möglichkeiten als die Simulation der Neuerung mit der Gefahr, darin zu ersaufen. Das Meer der Möglichkeiten als Symbol der Vermassung des Einzelnen. Das Meer der Möglichkeiten als das Symbol des 500 jährigen Selbstbetruges der einzelnen Einzigartigkeit. Das Meer der Möglichkeiten als heilsamer Schock, um den Egalitätsbegriff umzudefinieren, zu korregieren. – Es kommt auf die Perspektive an..?
„Der Künstler muß zeigen, wie man mit der unendlichen Zahl der Bilder, die in unserer Gesellschaft meist anonym entstehen, umgeht, wie man sie liest. Auf dieser reflexiven Ebene zeigt er seine Individualität.“(26) Der Künstler als Wegweiser, als Lotse? Der Künstler als Museumswärter, der das Herkommen kultureller Erinnerungen wieder ermöglicht?
Ästhetik selbst so hohl, wie ihre Inhalte. Konstrukt versus Kunst! Ästhetik als bloßer Schatten. Des Letzten selbst beraubt. Das Letzte verschenkt? Was bleibt? Büchse der Pandora in Sicht – oder alles nur melancholisches, romantisches Rücksehnen? Sehnen nach dem gnädigen Nebel, der es vermag, die grenzenlose Entropie jeden Dinges[nbsp] oder Zustands vergessen zu machen?

Blick auf die Kunst. Nur Teilsystem mit keinem anderen Anspruch, als Teilsystem zu sein. Man ist Teilnehmer im System oder nicht. Der Künstler kann durch sein Tun in den Institutionen seines Systems (Museen, Galerien etc.) den Dingen eine andere Bedeutung verleihen. Er kann dazu beitragen, dass Bewertung passiert. Der Mechanismus von Neuerung funktioniert in der Kunst genauso, wie in unserem aktuellen, ästhetisierten Wirklichkeitskonstrukt. Er ist Mittel zum Zweck, dient mehreren Herren gleichzeitig. Er funktioniert, weil er aus den tiefen Schichten der Menschenentwicklung stammt.

In der Folge 3 Beispiele, mit einer Gemeinsamkeit. Verschiebung der Bedeutungsgrenze. Ein wertloses, nicht gewärtiges Ding wird zur Kunst gemacht. Jedes Beispiel funktioniert nach diesem Muster. Überraschungseffekt führt zur (Re)- Gewärtigung, zur Bewertung. Ein Ding aus einem Kontext in einen Anderen gebracht. Die Grenze überschritten. Vertrautes wird auf diese Weise neu. Der Vorgang ist der gleiche, dient dabei aber den verschiedenen Intentionen der Künstler.

Zitate:
1. Schischkoff, Georgi, Hrsg; Philosophisches Wörterbuch; Stuttgart 1991, S. 530
2. Groys, Boris; Über das Neue, Versuch einer Kulturökonomie; Frankfurt am Main 1999, S. 14-16
3. Ebd., S. 55-62; 139-145
4. Ebd; S. 42-44; 66-72
5. Ebd., S. 55-62
6. Ebd; S. 29-38; 63-65
7. Ebd.; S. 55-65
8. Ebd; S. 66-72
9. Ebd.
10. Ebd. ; S. 94-110
11. Ebd.
12. Assmann, Jan; Das kulturelle Gedächtnis, Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen; München 1992; S. 19-25
13. Ebd.
14. Ebd.; S. 130-144
15. Ebd. 19-25
16. Thompson, Michael; Die Theorie des Abfalls, Über die Schaffung und Vernichtung von Werten; Stuttgart 1981; Kapitel 1 u. 2
17. Ebd.
18. Assmann; Das kulturelle Gedächtnis; S. 32
19. Thompson; Die Theorie des Abfalls; Kapitel 1/2 ; 5/6
20. Engelhard, Michael, Hrsg.; Michelangelo, Gedichte; Frankfurt am Main 1999; Nr. 60
21. Ebd; Nr. 66
22. Bürger, Peter; Theorie der Avantgarde; Frankfurt am Main 1974; S. 65
23. Ebd.; S. 43
24. Ebd.; Kapitel 1
25. Greiner, Ulrich; Versuch über die Intimität; Feuilleton „Die Zeit“; Nr. 18 vom 27.04.2000
26. Groys, Boris; Der Zwang zum Neuen und der Reiz des Elitären; Feuilleton „Die Zeit“; Nr. 49 vom 02.12.1999