Lexikon der Raumphilosophie …

By cjg on 17. Februar 2016 — 2 mins read

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat ein interdisziplinär angelegtes Lexikon zum Raumdenken herausgebracht. Im Buch werden mit ca. 650 Einträgen die zentralen Begriffe, Personen und Theorien der aktuellen Raumforschung in den Natur- und Kulturwissenschaften sowie der Philosophie verdeutlicht. Christian J. Grothaus schrieb fünf Artikel in diesem Lexikon, deren jeweilige Anfänge in der Folge zu lesen sind:

„Lichtung“

Lichtung ist ein an eine Stelle (Fleck) im Wald angelehntes Raumbild, mit dem der Philosoph Martin Heidegger (1889-1976) sein Konzept von Wahrheit als „natürliches Licht“ (lat. lumen naturale) der Vernunft (Logos) oder ‚Aletheia‘ zum Ausdruck bringt. Dies geschah maßgeblich in seinem 1935/36 gehaltenen Vortrag Der Ursprung des Kunstwerks als Eröffnung der Erde durch das Kunstwerk (Kunst), in diesem Fall ein Stilleben Vincent van Goghs, auf dem vermeintlich Bauernschuhe zu sehen sind: „Inmitten des Seienden im Ganzen west eine offene Stelle. Eine Lichtung ist. Sie ist, vom Seienden her gedacht, seinender als das Seiende“ (Heidegger 1994, 39 f.)…

„Gegend“

Der Philosoph Martin Heidegger (1889-1976) entfaltet in seinem 1944/45 niedergeschriebenen ‚Feldweggespräch‘ über die Gelassenheit mit dem Begriff der Gegend eine Ontotopologie (Seinstopologie). Im Gegensatz zu einem aus dem Wollen getriebenen menschlichen Vorstellen wird das Wesen des Denkens (Logos) als Eingelassenheit und Angesprochenwerden gedeutet. Die Überlegungen zur Gegend hängen auch zusammen mit Heideggers (1969) Kunstästhetik. Raum wird vom Frei- oder Einräumen (Räumen) her verstanden, das dazu dient, einen Ort zu öffnen für das Wohnen des Menschen und für die Dinge, die in ihrem Zusammengehören (Geviert) versammelt werden…

„Tal“

Der Ort des Tals nimmt eine zentrale Rolle in der Geophilosohie ein, wie sie Friedrich Nietzsche (1844-1900) in den vier Teilen der zwischen 1883 und 1885 veröffentlichten Schrift Also sprach Zarathustra entwirft. Nietzsche löst u.a. in seinem 1908 posthum veröffentlichten autobiografischen Buch[nbsp]Ecce Homo[nbsp]die begrifflichen Grenzen der Philosophie auf und überschreitet (Überschreitung) das Verstehen zugunsten des Erlebens: Da die Philosophie für Nietzsche, wie es im Vorwort von Ecce Homo heißt, ein „freiwilliges Leben in Eis und Hochgebirge“ ist, nimmt es nicht Wunder, dass sein alter Ego Zarathustra die Heimat verlässt und sich zehn Jahre lang…

„Zeitraum“

Zentral im Denken des Philosophen Martin Heidegger (1889-1976) ist die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Sein und Zeit, wie auch sein[nbsp]Buch von 1927 heißt. Darin verbindet er die Menschen als Seiende mit der Befähigung, das Sein zu verstehen (Seinstopologie), denen es im Unterschied zu anderem Seienden (Dinge, Lebewesen etc.) „um dieses Sein selbst“ (1967, § 4) gehe. Bedeutsam für die Betrachtung des Zeitraums jedoch ist die Umgewichtung dieser Definition in Richtung eines Seinsverständnisses als „Möglichkeit, … die dem Menschen zukommt“ (Polt 2003, 190) und sich als Ereignis zeigt, das als „Wesens des Seyns“ (Heidegger 1989, 271) gedacht wird…

„Weltinnenraum“

Der Begriff Weltinnenraum findet sich im Denken von Rainer Maria Rilke (1875-1926). Im Gedicht „Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen“ von 1914 beschreibt er eine ‚entgrenzende Seelenlage‘, die den Menschen durch einen unsichtbaren Herzensraum (Liebe) mit der Welt verbindet: „Durch alle Wesen reicht der eine Raum: Weltinnenraum“. Auch in einem Brief an Nora Purtscher-Wydenbruck (1894-1959) von 11. August 1924 verdeutlicht Rilke durch das Bild einer Pyramide, dass das „gebräuchliche Bewusstsein“ der Menschen nur deren Spitze darstellt, der ganze Stumpf aber das unsichtbare „weltische (Welt) Dasein“ ausmacht…

Erschienen: Günzel, Stephan (Hrsg.): Lexikon der Raumphilosophie, Darmstadt: WGB, 2012