[…] Moral taugt prächtig zur Emotionalisierung, zumal wenn sie bildreich daherkommt. Sie lässt sich flugs mit Haltung gleichsetzen. Sie ist wahlweise eine Präveniv- oder Flächenwaffe, denn ihr Gebrauch erzeugt bei Andersdenkenden die Schere im Kopf und lässt verstummen oder zeigt bei Zuwiderhandlung deren Unmenschlichkeit auf. Moral will Gefolgschaft und Gehorsam. Es nimmt nicht wunder, dass solche Wirkmacht zum Einsatz gebracht wird auf allen Feldern, in denen Steuerung, Erziehung und Herrschaft sich äußern. Es geht um die Macht. Die jeweiligen Botschaften sind nicht so wichtig, und der moralische Gehalt wandelt sich beständig. Was dazumal gut war, ist es heute nicht.
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Das Resümee des Parforceritts durch 230 Jahre Aufklärungsmoral lautet also wie folgt: Machenschaft, kein Schicksal; Mainstream, kein Welt- oder Zeitgeist; Rechenleistung, keine Lebensweisheit; Algorithmus, kein Wille; Virtualität, keine Leiblichkeit. Nicht, dass das ein Problem wäre für die Bergprediger des neuen Menschen (auf die wir noch zu sprechen kommen), denn die Kurzweils dieser Erde verkünden die frohe Botschaft ihrer Maschinentheologie.
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Was aber ist die Moral von der Geschichte? Moral braucht Konstruktion, denn es gibt keine natürlich gewachsene. Die Maschinentheologie wird ebenso scheitern wie alle ihre theologischen und utilitaristischen Vorgängermodelle.
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Erschienen: TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung; Winter 2020/21, S. 65-68.