Bernhard Heiliger war einer der wichtigsten und erfolgsreichsten deutschen Künstler in der Nachkriegszeit. Quer durch die Bundesrepublik prägen zahlreiche Skulpturen und Reliefs des weltbekannten Bildhauers
die Stadträume. Auch in Berlin, wo er am 25. Oktober 1995 starb, gibt es viele Spuren von ihm. Die bekanntesten sind wohl „Die Flamme“ von 1962 auf dem Ernst-Reuter-Platz oder die Eisenskulptur „Auge der Nemesis“, die 1979 entstand und vor der Schaubühne am Lehniner Platz steht. Musikfreunden dürften die Arbeiten „Echo I“ und „Echo II“ von 1987 bekannt sein, die auf dem Vorplatz des Kammermusiksaals der Philharmonie aufgestellt sind…In Berlin laufen zur Zeit zwei Ausstellungen zu Bernhard Heiliger. „Licht Bild Skulptur. Skulpturen von Bernard Heiliger im Blick der Fotografen“ ist im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus am Schiffbauerdamm zu sehen, während der Martin-Gropius-Bau mit 120 Skulpturen und Reliefs, etwa 50 Zeichnungen und anderen Arbeiten die bisher umfangreichste Heiliger-Retrospektive präsentiert.
Geboren am 11. November 1915 in Stettin, begann Heiliger im Jahre 1933 seine Ausbildung zum Bildhauer in Stettin bei dem Bauhausschüler Kurt Schwerdtfeger. Fünf Jahre später nahm er das Studium an der Vereinigten Staatsschule für Freie und Angewandte Kunst in Berlin auf, wo er ab 1939 bei Arno Breker studierte. Nach Fronteinsatz und Flucht erlebte das Ende des Krieges in Bremen. Vom 1946 bis 1995 lebte und wirkte Bernhard Heiliger in Berlin. Er lehrte Bildhauerei von 1946 bis 1986 zunächst an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee und ab 1949 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg.
Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eng mit Heiligers Arbeit verwoben und markiert auch die Anfänge seines Schaffens deutlich. Eine durch Krieg und Niederlage traumatisierte Gesellschaft mußte ihr Selbstbild neu gewinnen. Der Begriff des Wandels ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis des Künstlers. Die Kuratoren im Martin-Gropius-Bau lassen die Besucher mit der chronologischen Gruppierung der Heiliger-Arbeiten sehr bildlich daran teilhaben.
Die ersten drei Stationen der Ausstellung dokumentieren einen forschenden und suchenden Bildhauer, der bewegte, aber in sich ruhende Skulpturen modelliert. Die Verschleifung der menschlichen Physiognomien zu glatten Volumina erinnert an einen Verpuppungsprozeß. Der Betrachter gerät in den Bannkreis einer seltsam unterschwelligen Spannung und erahnt eine Aktion, die in ihrer Wirkung zum energiegeladenen Stillstand führt. Ein paradoxer Zustand, aber vielleicht der beste Ausdruck einer Zeit, die durch die Frage: Was nun? gekennzeichnet war.
Heiligers Porträtköpfe der 1950er Jahre, die die Nachkriegsgranden aus Politik und Kunst verkörpern, folgen dem Gestus der Suche. Der Künstler wollte keine Porträts machen, sondern „die vollständige Übersetzung der Typik eines Gesichts in durchaus individuelle Köpfe erreichen“. Heiligers Ziel war dabei, die Köpfe wie eine freie Plastik wirken zu lassen.
Die Verarbeitung von Kriegstraumata ist durch das „Denkmal des Unbekannten politischen Gefangenen“ in mehreren Variationen und „Sebastian“ eindrucksvoll dokumentiert. In Anlehnung an das Christusmotiv durchdringt Heiliger einen geschundenen menschlichen Körper mit Gitterstäben bzw. Bombensplittern und stellt ihn in seiner existentiellen Hilflosigkeit dar.
Die „Große Nike“, die 1956 im Hansaviertel präsentiert wurde, symbolisiert den Neuanfang Westdeutschlands. Sie fällt mit der nominellen Aufhebung des Besatzungsstatuts und dem Eintritt in die Nato zusammen. Die Geste der Siegreichen mit gestrecktem Arm und Lorbeerkranz wird weitgehend zu organisch gedeuteten Grundformen abstrahiert.
Der menschliche Körper steht auch in den 1960er Jahren im Mittelpunkt der Arbeiten des Bildhauers. Er dekonstruiert jedoch die Formen zunehmend und beginnt damit, Strukturen aufzubrechen und zu zersplittern. „Wandlung I“, „Verwandlung II“ oder „Schwebend I“ sind beredte Zeugen dieser Entwicklung.
Die Oberflächen werden aufgerauht, und es entsteht ein spannendes Wechselspiel zwischen der metamorphierten Form und ihrer autonom werdenden Haut. Wie in der Dekade davor spiegelt sich auch hier der Zeitgeist wider, und eine sich langsam andeutende „Umwertung aller Werte“ in der Gesellschaft wird in der Kunst Heiligers ablesbar. Die großen Bronzearbeiten jener Jahre wie zum Beispiel die Reliefs an der Bremischen Bürgerschaft von 1965 zeigen die Lebendigkeit einer autonomen dunklen Oberfläche, die ihre Wirkung im Spiel mit den leuchtenden polierten Teilflächen betont.
Auf dem Weg zur sieben Meter hohen Plastik „Flamme“ für die Gedenkstätte Ernst Reuters auf dem nach ihm benannten Berliner Platz gibt es eine Menge faszinierender transformativer Studien. Spröde und aufgebrochene Formen werden mit Stäben durchdrungen und erinnern teilweise an archäologische Grabungsfunde oder wirken wie Stücke aus dem Fundus von Science-Fiction-Filmen.
Im Spätwerk der 1970er und 1980er Jahren beschäftigt sich Heiliger mit der Kollagierung geometrischer Grundkörper. Sein bevorzugtes Material ist hierbei Stahl. Eine Reihe kleiner wie großer Skulpturen entstehen, aber auch Zeichnungen und kleinere Reliefs. Wiederum kann der Betrachter die Prämissen einer Zeit in den Kunstwerken Heiligers ablesen. So ist seine Suche jener Jahre mit Begriffen wie Raum, Zeit, Natur und Mensch bzw. Natur und Kosmos verbunden. Kugeln, Flächen und Stäbe versuchen das Verhältnis des Menschen zum Ganzen zu beschreiben. Nicht zufällig wird in den 1980er Jahren das Science-Fiction-Genre mit ähnlichen Fragestellungen stark belebt.
Die zweiteilige Aluminium-Hängeskulptur „Kosmos 70“ ist ein Höhe- und Endpunkt in Heiligers Schaffen mit diesem speziellen Fokus. Sie ist zwischen 1963 und 1970 in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten Paul Baumgarten entstanden und hängt im Lichthof des Martin-Gropius-Baus. Von 1970 bis 1994 war sie im Foyer des Berliner Reichstages installiert und wurde im Zuge des Umbaus durch Lord Norman Foster entfernt.
In Rückblick läßt sich Heiliger als ein Getriebener erkennen. Als einer, der Kunst nicht nur von Können her definiert, sondern auch von Müssen. Die Sedlmayerische Kritik aus den 1950er Jahren, die dem Künstler einen Mangel an Transzendenz und Erbauung vorwirft, wirkt vor der lebenslangen Suche des Bildhauers wie ein Ruf aus einer anderen Welt. Ein Ruf, der nicht versteht, daß der Betrachter des Heiligerschen Werks ein Zeuge von permanenten Transformationsprozessen ist. Fluß, Auflösung, Überführung bis hin zum Vereinen von Materie und Luft, von Schwere und Leichtigkeit in „Kosmos 70“. Die Verpuppung, die im Frühwerk der verschliffenen Volumina beginnt, hat hier ein Ende mit der Geburt eines Schmetterlings, der glänzend schwebt und leicht davonfliegt.