Das Deutsche Heer stellte sich seit 1955 bis zur Wiedervereinigung 1992 in vier Strukturen auf. In Punkto Reaktionsschnelligkeit reagierte jede Gestalt auf die jeweilige politisch-militärische Konstellation und diese war bekanntlich extrem konfrontativ. Die erste Heeresstruktur mit drei Korps und zwölf starken Divisionen bestand zwei Jahre (1956-1958). Sie wirkte massig, denn Untergliederungen geschahen lediglich in sog. Kampfgruppen. Kleinere Verbände – etwa Regimenter – gab es nur für den Feldartillerieeinsatz. Ihr folgte die Heeresstruktur 2, die ein gutes Jahrzehnt (1959-1970) galt und auf die atomare Bedrohung reagierte. Die Divisionen wurden verkleinert. Sie sollten beweglich sein, die „Fähigkeit zu reaktionsschnellen Gegenangriffen“ (Inspekteur des Heeres (Hrsg.) 2017) haben und aufgelockert operieren können. Hierzu schien die Untergliederung der Divisionen in Brigaden geeignet. Im Frieden verfügten sie bereits über die volle Stärke und waren daher schnellstens einsatzbereit. Das „Gefecht der Verbundenen Waffen“ konnte die Brigade unter konventionellen und auch nuklearen Bedingungen führen.
Ende der 1960er Jahre – auf dem Höhepunkt atomarer Bedrohung – wich langsam die NATO-Strategie einer „massiven Vergeltung“ (massive retaliation) zugunsten der „flexiblen Erwiderung“ (flexible responce). Das hieß, dass zunächst konventionell zu kämpfen war und Nuklearwaffen nur begrenzt wirken sollten. Die Heeresstruktur 3 (1970-1979) reagierte darauf, etablierte Jägerdivisionen bzw. -brigaden und war auch der Startschuss für das „Territorialheer“ bzw. die „Heimatschutzkommandos“, denen unter dem Kommando des Heeres schwerpunktmäßig Unterstützungsaufgaben sowie das Sichern und Schützen der rückwärtigen Räume oblag, während Bundeswehr-NATO-Kontingente zusammen mit Verbündeten an der Front kämpften. Ziel war auch, die Kampffähigkeit genauer den zu erwartenden Gelände- verhältnissen im zugewiesenen Raum des „General Defence Plan“ (GDP) anzupassen.
Der Mobilisierungsgrad von NATO und Bundeswehr während des Kalten Krieges in Deutschland war sehr hoch, denn dem Warschauer Pakt wurde in den 1960er Jahren die Fähigkeit zugesprochen, über das Territorium von DDR und Tschechoslowakei quasi aus dem Stand heraus anzutreten und weitreichende Angriffe in die Bundesrepublik Deutschland vorzutragen: „[…] die Vorwarnzeit [lag, CJG] unter acht Stunden, was für den Aufmarsch der NATO gemäss den Einsatzplanungen nicht ausreichte. Für einen solchen Überraschungsangriff gab es zwar Notfallpläne, die jedoch die Alarmverbände vor kaum lösbare Aufgaben stellten. Am wahrscheinlichsten waren aber Vorwarnzeiten zwischen 48 und mehr Stunden.“ (Hammerich 2011, S. 36.) Das führte dazu, dass die entsprechend eingeplanten deutschen Großverbände auch im Friedensbetrieb permanent präsent und einsatzbereit sein mussten. Die Mobilisierung folgte nach einem NATO-Alarmierungssystem mit den drei Stufen „Simple, Reinforced und General Alert“. Überraschungsangriffe, bei denen es um Stunden oder gar Minuten ging, versuchten man mittels der Stufen „Military Vigilance und Counter Surprise“ (Henessy 2010, S. 123.) einzuhegen.
Zwölf Jahre (1980-1992) wiederum sollte die Heeresstruktur 4 gelten. Die Kräfte hatten nun einem massiven Panzereinsatz des Gegners standzuhalten. Es waren schneller Schwerpunkte zu bilden und zu verlagern, was dazu führte, dass die Brigaden je einen Verband mehr bekamen. Vormalige Jägerbrigaden bzw. -bataillone verschwanden wieder zugunsten mechanisierter Großverbände. Solcher gab es 38 in immer noch zwölf Divisionen bis 1990 die Deutsche Einheit und die Integration der Nationalen Volksarmee der DDR die Verhältnisse komplett änderten.
Seit 1992 hat das Heer vier Strukturreformen durchlaufen, allerdings in erheblich kürzerer Zeit. Das mag Ausdruck sein für den drastischen Wandel im Einsatzbild. Es folgten der Struktur 5: „5 (N) 1993-1997, Neues Heer für neue Aufgaben 1998-2000, Heer der Zukunft 2001-2004, Neues Heer 2005-2010“ und schließlich „Heer 2011“. Letztere ist noch nicht eingenommen und es ist zu erwarten, dass auch sie nur eine kurze Etappe im Rahmen permanenter Veränderung sein dürfte.
Zwei Leitmotive durchzogen alle Wandlungsstufen seit 1990: internationale Einsätze und sin- kende Verteidigungshaushalte. Zusätzlich hatte man die Strukturreformen auf der Grundlage alter, den kalten Krieg fokussierender Organisationsmittel zu planen und versuchte, eine Brücke in die neuen Aufgaben zu bauen. Es lohnt hier ein kurzer Blick auf die sog. „Standardisierte Einsatzplanung des Heeres“ (SEP). 1997 vom Heeresführungskommando erlassen, beschreibt sie ein Organisationsmittel „[…] für Einsätze im erweiterten Aufgabenspektrum ohne Mobilmachung und außerhalb Deutschlands […]“. (Reinhardt 1997, S. 1.) Entsprechend der Aufteilung des Heeres in „Krisenreaktions- und Hauptverteidigungskräfte“ (KRK und HKV) bezog sich Reaktionsschnelligkeit zuvorderst auf erstere. So ist der SEP ein Versuch, die Abstimmung zwischen Leitkommando, Leitverband sowie der Vorbereitungs- und Unterstützungsstelle für KRK transparent und einfach zu gestalten, um „[…] ein kurzfristiges Herstellen der Einsatz- und Verlegebereitschaft von Einsatzkontingenten“ (Reinhardt 1997, S. 1.) unabhängig vom konkreten Raum bzw. Auftrag sicherzustellen. Der SEP reduzierte den Befehls- und Regelungsbedarf, definierte klare Aufgaben, legte Führungsstrukturen fest, standardisierte Verfahren wie Abläufe und optimierte Software bzw. Formate auf den Austausch hin. Ein Reaktionsplan schlug im Prüflistencharakter jedem Führungsgrundgebiet Maßnahmen, Zielsetzungen und Verantwortlichkeiten vor. Befehlsschemata zur Verlegefähigkeit, Personalführung und -bearbeitung sowie Betreuung und Fürsorge von Krisenreaktionskräften (KRK) runden das Dokument ab.
Der SEP zeigt aber auch das Ungleichgewicht zu den Hauptverteidigungskräften und ferner war man sich seinerzeit ebenfalls bewusst, dass die Spezialisierung der KRK den Verlust von Grundfähigkeiten nach sich zieht. Wilhelm Brockmann 1998 hierzu: „Um jedoch die Nachteile einer nicht einsatzorientierten Gliederung der Großverbände in Grenzen zu halten, sollen KR- Großverbände [Krisenreaktions-Großverbände, CJG] in begrenztem Umfang Führungs- und Stabsübungen in Einsatzgliederung durchführen“. (Brockmann 1998, S. 17.) Wolfgang Kopp, Brigadegeneral a. D., fand kritische Worte für ein jahrzehntelanges Absterben der Fähigkeit zur Bündnis- und Landesverteidigung: „Die Eigenblendung in Deutschland bestand und besteht immer noch in der Annahme, das Zusammenstellen von Kontingenten für Einsätze in einem eher bescheidenen Umfang oder Ausbildungshilfe seien das Maß an Einsatzbereitschaft, welches ausreicht.“ (Kopp 2016, S. 17.)
Allerdings waren die Vorgaben der Politik deutlich und sorgten ab 1999 für Internationalisierung wie „Beschleunigung“. So haben die EU-Bündnisarmeen seither 60 Tage Zeit, eine 60.000-Mann starke „schnelle Eingreiftruppe“ zum Einsatz zu bringen. Gegliedert in 13 mobile „Battlegroups“ soll innerhalb von 10-15 Tagen ausgerückt werden und das vornehmlich für Aufgaben der Stabilisierung und Krisenprävention bzw.- nachsorge. Die kleinen, autarken, schnellen Gefechtsverbände stellen eine hohe Bereitschaftsstufe sicher: „Es ist beabsichtigt, zwei EU Battlegroups nahezu zeitgleich einsetzen zu können. Zehn Tage nach Ratsbeschluss sollen Kräfte einer EU Battlegroup mit Operationen in einem Einsatzraum beginnen können.“ (Inspekteur des Heeres (Hrsg.) 2014, S. 24.) Ab 2006 bis dato stellt das Heer regelmäßig bis zu 1.000 Soldaten ab.
Parallel ab 2002 läuft die Integration in die „NATO Responce Force“ (NRF). Hier geht es um „[…] reaktionsschnelle Einsätze zur Demonstration militärischer Stärke, zur Überwachung und Durchführung von Embargos, zur Unterstützung humanitärer Hilfe, für Evakuierungsoperationen und zur Unterstützung von Operationen gegen den Terrorismus.“ (Inspekteur des Heeres (Hrsg.) 2014, S. 24.) Insgesamt bis zu 25.000 Soldaten – wobei die Landstreitkräfte bis Brigadestärke aufwachsen können sollten – kann die NRF innerhalb von zwei bis vier Wochen zum Einsatz bringen. Auch hier stellt das Heer „[…] einen signifikanten Beitrag zur vollen Einsatzbereitschaft“. (Inspekteur des Heeres (Hrsg.) 2014, S. 24.)
Die sog. „VJTF“ (Very High Readiness Joint Task Force) wiederum ist ab 2014 auf Grundlage des sog. „Readiness Action Plan“ der NATO präsent. Die auch Speerspitze genannte Truppe reagiert noch einmal deutlich verkürzt. Das Landelement besteht aus einer verstärkten Brigade mit bis zu 8.000 Soldaten, die innerhalb nur weniger Tage einsatzbereit sein muss. Bedeutsam ist in diesen Zusammenhang, dass Reaktionsschnelligkeit sich nun nicht mehr auf die Verlegbarkeit von Truppenteilen bezieht, sondern auf die Zeitspanne bis zum Eintreffen am jeweiligen Einsatzort.
„Schnell heißt, dass die Brigade – je nach Ausbildungsstand, Bereitschaftsgrad und verbindlichen Vorgaben der NATO – innerhalb von bis zu sieben Tagen voll ausgestattet und mit ihrem gesamten Personal am Standort abmarschbereit sein muss.“ (Vollmer 2016, S. 2.), so der Inspekteur des Heeres über die Forderung, die das Deutsche Heer zu erfüllen hat – eine Organisation wohlgemerkt, die sich die letzten Jahrzehnte immer mehr auf Auslandseinsätze spezialisierte und dabei wichtige Grundfertigkeiten in der Landes- wie Bündnisverteidigung verlor.
Ökonomisierung und Reaktionsschnelligkeit: ein Missverhältnis?
Das vorangegangenen Abschnitt zusammengefasst, sind also Internationalisierung bei sinkenden Verteidigungsetats, Spezialisierung und eine schrittweise Verkürzung der geforderten Reaktionszeiten Leitthemen seit der Wiedervereinigung. Es lohnt noch ein Blick auf die Organisationsstruktur bzw. die Prozesse innerhalb des Heeres. Hier stellt sich die Frage, wie der wirtschaftlich-logistische Umbau geschah von einer Armee der Landesverteidigung zu einer, die internationale Interventionen durchführt. Kann die zugehörige Organisationsstruktur bestehen bleiben oder muss sie sich genauso wandeln wie die Truppe selbst? Ist es ferner möglich, dass Privatisierungsimpulse der letzten rund 25 Jahre den neuen Aufgaben im Wege stehen?
Die Verantwortlichen seien sich seinerzeit, so Gallhöfer, durchaus über die Senkung der mili- tärischen Fähigkeiten der Bundeswehr bewusst gewesen. Und das vor dem Hintergrund, „Streitkräfte für internationale und asymmetrische Einsätze zu transformieren und zu modernisieren“. (Gallhöfer 2014, S. 218.) Das sog. Verteidigungsökonomie-Problem (Beschaffungskosten steigen bei sinkenden Etats) habe dazu geführt, bestehende Waffensysteme auszumustern und punktuell nur wenige neue anzuschaffen. Eine kurzsichtige Strategie, so Gallhöfer, denn die militärische Effektivität fiele und die Kostenersparnis gestalte sich bestenfalls relativ. Gleichzeitig schlügen auch Personal- und Betriebskosten erheblich zu Buche. Außerdem seien die Bindungen langfristiger Verträge mit der Industrie kaum zu lockern.
Dennoch, den Staaten innerhalb der EU sei der Einsatz ökonomischer Effizienzmethoden willkommen gewesen, um die Armeen zu transformieren. Ein Wille, der sich ab 1998 in Deutschland seinen Weg auch in einer „strategischen Partnerschaft zwischen Bundeswehr und Wirtschaft“ (Gallhöfer 2014, S. 227.) bahnen sollte. Von der ministeriumsinternen Gesell- schaft „g.e.b.b.“ (seit 2017 BwConsulting) initiiert, entstanden zwischen 2002 und 2006 die vier Privatisierungsprojekte „BwFuhrparkService GmbH“, „Lion Hellmann Bundeswehr Be- kleidungs GmbH“, „Heeresinstandsetzungslogistik GmbH“ und „BWI Informationstechnik GmbH“. Gallhöfer resümiert 2013, dass im Ganzen gesehen die Privatisierungsprojekte „nicht schlecht“ gewesen seien. Sie hätten zu teils erheblichen Einsparungen von Personal, Material und auch zur Straffung von Prozessen geführt. Allerdings wären die Mitarbeiter nicht durchgängig zufriedener, denn 49 Prozent der Berufs- und Zeitsoldaten nähmen in ihren Ein- heiten bzw. Dienststellen keine Effizienzverbesserungen wahr. (Gallhöfer 2014, S. 231.)
Auch Thielmann fasst anschaulich das Für und Wider der Privatisierung der Bundeswehr zusammen. Er verbucht ein eigenes Rechnungswesen sowie die Fähigkeit, Preise auszuhandeln, Erlöse zu erzielen und kostentransparent zu handeln auf der Habenseite. All das würde zu einer Optimierung der Qualität beitragen und frische Impulse, etwa im Marketing, setzten, um mehr Personal zu rekrutieren. Dieses sei im Übrigen flexibler einsetzbar und hierdurch kostengünstiger zu bewirtschaften und die Vernetzung zur freien Wirtschaft stiege. Als Mangel identifiziert er die Schwierigkeiten, den Gewinn zu nutzen bzw. ihn zu versteuern und auch, den Beamtenstatus anzupassen bzw. Mitbestimmung zu organisieren. Auch sei problematisch, militärische Schlüsseltechnologien bzw. -produkte in Privathand zu wissen und damit außerhalb der direkten Kontrolle durch die jeweilige Regierung. Thielmann schließt mit der kritischen Frage, „[…] ob eine Privatisierung umkehrbar bzw. der Vorgang der Privatisie- rung abbrechbar ist.“ (Thielmann 2012, S. 50.)
Ökonomische Prämissen wirkten sich selbstredend auf Logistikprozesse aus. Thielmann weist in diesem Zusammenhang auf die gestiegene Rolle des Controlling hin, so würden nicht nur Beschaffung, Bereitstellung des Transports und Lagerung in Kooperation mit privaten Unternehmen koordiniert, sondern Teil- wie Gesamtprozesse kontrolliert wie optimiert. Die Arbeit ziele auf drei Felder, nämlich Einsatz-, Stabilisierungs- und Unterstützungstruppen. „Dabei muss die Logistik die diese drei Kräftekategorien jeweils unterstützt, nicht nur über die nötigen Fachkenntnisse verfügen, um eine der drei Kategorien optimal unterstützten zu kön- nen, sondern sie muss mit der Logistik der anderen beiden Kräftekategorien kooperieren und vernetzt wie prozessorientiert agieren.“ (Thielmann 2012, S. 67.)
Dieses jeweils im In- und Ausland wie auch in multinationalen Operationen zusammen mit zuständigen Abteilungen fremder Armeen, möchte man ergänzen. Letztlich teile sich die Bundeswehr in eine Basis- und eine Einsatzlogistik. In Zukunft gälte es, nationale Logistik EU-weit und auch transatlantisch zu verweben und mit global operierenden Firmen eng zu kooperieren. Die weltweite Ar- beitsteilung allerdings dürfe nicht zu Abhängigkeiten führen. Freilich stellt sich hier die Frage, ob das Wesen der Arbeitsteilung nicht stets der Verlust der Autonomie ist.
Auch Thomas sieht die Leistungen Dritter (gewerblich, multinational oder Gastnation) als un- verzichtbar an. Eigene Ressourcen würden auf diese Weise freigesetzt und die Wirtschaft ermögliche schnell und verlässlich, Leistungspakete abzurufen.
Insgesamt könne die Hand- lungsfähigkeit der Bundeswehr steigen, allerdings bedeutet dies nicht, dass logistische Fähigkeiten aufgegeben werden dürften. Gedanken, die er vor dem Hintergrund der geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen weiter präzisiert und zunächst eine Umgewichtung der Aufgabenverteilung der Bundeswehr konstatiert. Die Waage komme nun langsam wieder ins Gleichgewicht, denn der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) werde mittlerweile – unter dem Eindruck der Ukrainekrise 2014 – die gleiche Aufmerksamkeit zugemessen wie „internationaler Konfliktverhütung und Krisenmanagement“ (KM). Das habe selbstredend Auswirkungen auf die Logistik bzw. die logistischen Systeme. Einer langfristigen Planbarkeit vor allem auf den Balkan und in Afghanistan stünden nun ebenfalls viele kleine Konfliktherde zur Versorgung gegenüber, was auch eine je nach Bedrohungslage abgestufte Einbindung Dritter schwieriger mache.
Ganz zu schweigen von den Aufgaben, die die Bundeswehr im Rahmen der NATO-Speerspitze (VJTF) in Polen und den baltischen Ländern zu leisten habe. Hier gehe es nicht mehr um Wochen und Monate, sondern um Tage, die als Reaktionszeit zur Verfügung stünden: „Neben den allgemeinen Aufgaben im Landoperationen wie beispielsweise dem Marsch oder dem Beziehen von Räumen werden für die mobilen Logistikkräfte wieder Aufgaben stärker in den Fokus rücken, die für eine Unterstützung eines beweglich geführten Gefechtes unerlässlich sind. Hierzu gehörten neben dem Erkunden, Einrichten, Betreiben und Sichern von Versorgungseinrichtungen u. a. auch deren schnelle Verlegung ggf. über weite Entfernung und ohne Abstützung auf feste Infrastruktur.“ (Thomas 2016, S. 20.) Aber auch „ortsfeste logistische Einrichtungen“ (oIE) müssten wieder höheren Anforderungen zum Lagern, Kommissionieren, Bereitstellen und Verladen entsprechen.
Kampfkräftig und reaktionsschnell kann eine Armee nur sein, wenn Personal wie Material zur rechten Zeit in angemessener Stärke am rechten Ort sind. Können das die oben erwähnten Bundeswehr-Gesellschaften leisten – und zwar im Friedens- wie im Kriegs- bzw. Einsatzbetrieb? Thielmann zweifelte nicht daran, dass die Aufteilung logistisch funktionieren könnte. Diese Einschätzung allerdings zieht allerdings die Frage nach sich, ob Systeme, Routinen, Prozeduren und der Informationsaustausch aus der Perspektive des Kampfes durch solche des Friedensgrundbetriebes verzerrt werden. „Die Ökonomisierung stützt sich auf die Hoffnung, dass betriebswirtschaftliche Methoden und ökonomisches Denken die Bundeswehr effizienter und effektiver machen und sie somit den anstehenden militär- und sicherheitspolitischen Herausforderungen gewachsen ist“ (Keller 2007, S. 52.), so Jörg Keller, der den Sachverhalt aus organisationstheoretischer Sicht fokussiert.
Das ökonomische Prinzip zeichne sich grundsätzlich als ein Kalkül aus, das den Einsatz von Mitteln auf ein Ziel hin optimiere – entweder im Modus der Effizienz (Minimalprinzip) oder dem der Effektivität (Maximalprinzip). Die Bundeswehr wiederum sei eine Organisation, die sich in Streitkräfte und Verwaltung teile und deren Ziel (Output) die Gewalt bzw. die Fähigkeit zur Gewalt sei. Diese wäre das Produkt der Einheiten und Verbände, während Stäbe und Ämter Dienstleistungen vollzögen. Das Monopol der Kriegsfähigkeit zwänge den Staat dazu, nicht-vergabefähige Leistungen zu definieren, was ein „Kosten-Nutzen-Ertrags-Kalkül“ (Keller 2007, S. 56.) erschwere bzw. verunmögliche. Auch fehlten operationale Beschreibungen des Outputs für den Kriegsfall: „Ohne Quantifizierung kein wirtschaftliches Kalkül, ohne das Kal- kül keine Ökonomisierung im Kernbereich des Militärischen, dem Krieg.“ (Keller 2007, S. 58.)
Ähnliches gelte für den Einsatz, denn auch dieser definiere zwar Mittel, aber keinen Ertrag.
Für den Friedensgrundbetrieb erkennt Keller die drei Leistungsbereiche Ausbildung, Realver- sorgung und Verwaltung. Das Minimalprinzip ökonomischen Handelns sei auf das Kerngeschäft der Ausbildung anwendbar und auch die Realversorgung lasse sich im Frieden sowohl minimal als auch maximal und damit wirtschaftlich gestalten. Die Verwaltung hingegen entzöge sich einer eindeutigen Bestimmbarkeit, denn sie sei ein Teil der Gesamtleistung der Streitkräfte. Des Weiteren richte sich die Organisationskultur der Streitkräfte nicht auf Ökonomisierung aus: „[…] am Leitbild des Krieges werden hier willensstarke Entscheider gesucht und bevorzugt und nicht der gewissenhaft (und zeitaufwendig) Kalkulierende, der nach Optimierung sucht. Auch hier kommt die […] binäre Kodierung „Sieg-Niederlage“ [im Gegensatz zur ökonomisch getriebenen Gewinn-Verlust-Betrachtung, CJG] zum Tragen.“ (Keller 2007, S. 62.)
Kellers Analyse zeigt anschaulich die Diskrepanz zwischen Friedens- und Kriegs- bzw. Ein- satzbetrieb. Nun wurden allerdings seit der Deutschen Einheit die maßgebenden Entscheidungen im und aus dem Friedensgrundbetrieb getroffen und in Hinblick auf eine Bundeswehr, die im Kontingentmodus als Bündnis-Interventionstruppe im globalen Maßstab agiert. Als Beispiel aus jüngerer Zeit mag das sog. „dynamische Verfügbarkeitsmangement“ dienen. Die Ablehnung des Konzepts wuchs schnell und umfänglich, denn es beinhaltete „[…] dass der Truppe in bestimmten Bereichen Gerät und Ausrüstung fehlte, eine so genannte Vollausstattung deshalb gar nicht mehr vorgesehen sein sollte und die Einheiten im Normalfall 70 Prozent des nötigen Materials haben, aber bei Bedarf wie Einsatz oder Ausbildung den Rest dazu bekommen.“ (Wiegold 2017)
Die öffentliche Kritik war breit, wie der Bericht des Wehrbeauftragten aus dem Jahre 2013 zeigt: „Das „dynamische Verfügbarkeitsmanagement“ ist damit nichts anderes als Ausdruck der Akzeptanz einer systemischen Mangelverwaltung […] Eine kontinuierliche Ausbildung und Inübunghaltung ist danach nur eingeschränkt möglich […] Die vorgenannten Beispiele zeigen, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr in den Zieldimensionen Einsatzorientierung, solide Finanzierung und Personalgewinnung den eige- nen Ansprüchen nicht genügt.“ (Königshaus 2013) Und tatsächlich, wo hatte hier der Soldat in Ausbildung und Einsatz seinen Platz? Wo konnten die zugehörigen Prämissen sich entfalten? Hatte die Effizienz sich nicht zum alleinigen Thema erhoben und ein ökonomisches System die militärischen Prämissen verdrängt?
Nun, in Zeiten der VJTF (s.o.) ist nicht nur nötig, Material und Personal des Deutschen Heeres wieder in Richtung Bündnis- und Landesverteidigung zu bringen, sondern auch die Organisationsstrukturen bzw. Prozesse dem Kriegsbetrieb anzupassen. Freilich tut sich hier wieder das Grundproblem einer auf Effizienz orientierten Zielvorgabe auf, die kein eindeutiges Ziel hat (s. o.). Ist die VJTF – und genauer das Baltikum – das Ziel oder die generelle Reaktivierung der Fähigkeit zur Landesverteidigung Deutschlands? Wenn letzteres, gegen welchen Feind und in welcher Stärke? Wie auch immer, ein reaktionsschnelles Heer unserer Tage müsste über eine institutionelle und schnittstellenarme Handlungsfreiheit verfügen, um verschüttete Grundfertigkeiten zu reaktivieren: „[…] wünschenswerte Effizienz im Grundbetrieb [sei, CJG] an der zwingend notwendigen Effektivität im Einsatz zu messen“. (Vollmer 2016, S. 4.) Die Äußerung des Inspekteurs des Heeres scheint in diese Richtung zu weisen.
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_Brockmann, Wilhelm (1998): Großverbandsübungen des Heeres. Was hat sich geändert?, in: Europäische Sicherheit, Heft 4 (1998), S. 16-22
_Gallhöfer, Philipp (2014): Effizienz und Effektivität durch Verteidigungskooperation. Auswir- kungen innerhalb der Europäischen Union, Wiesbaden: Springer
_Hammerich, Helmut R. (2011): Süddeutschland als Eckpfeiler der Verteidigung Europas. Zu den NATO-Operationsplanungen während des Kalten Krieges, in: MILITARY POWER REVUE der Schweizer Armee, Heft 2 (2011), S. 34-45
_Hennessy, Peter (2010): The Secret State: Preparing For The Worst 1945-2010, London: Penguin
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_Inspekteur des Heeres (Hrsg.) (2014): Die Neuausrichtung des Heeres. Kämpfen – Schützen – Helfen – Vermitteln, 2. vollst. aktual. Aufl., Strausberg: Zentraldruckerei
_Keller, Jörg (2007): Streitkräfte und ökonomisches Kalkül: Top oder Flop? Grundsätzliche Überlegungen zu einer Ökonomisierung der Bundeswehr, in: Richter, Gregor (Hrsg.): Die ökonomische Modernisierung der Bundeswehr. Sachstand, Konzeption und Perspektiven, Wiesbaden: VS Verl. f. Sozialwissenschaften, S. 51-64
_Königshaus, Hellmut (2013): Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten. Jahresbericht 2013 (55. Bericht), Deutscher Bundestag, Drucksache 18/300, URL: http:// dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/003/1800300.pdf [Zugriff 04.04.2017]
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_Reinhardt, Klaus (Hrsg.) (1997): Befehl zur Standardisierten Einsatzplanung des Heeres (SEP), Koblenz: Heeresführungskommando
_Thielmann, Georg (2012): Die Geschichte der Logistik der Bundeswehr von 1955 bis heute, Nordhausen: Traugott Bautz
_Thomas, Volker (2016): Veränderte sicherheitspolitische Rahmenbedingungen. Herausforderungen für die Logistik der Bundeswehr, in: Blauer Bund. Interessengemeinschaft für Logistik, Rüstung und Nutzung der Bundeswehr, Heft 48 (2016), S. 18-22, hier S. 20
_Vollmer, Jörg (2016): Schnell, Durchsetzungsfähig, Kampfstark. Elemente der Ausrichtung des Deutschen Heeres, in: InfoBrief HEER, Nr. 1 (2016), S. 1-5, hier S. 2
_Wiegold, Thomas: Mangelverwaltung bei der Bundeswehr: neue Begriffe, gleicher Mangel, AUGEN GERADEAUS!, URL: http://augengeradeaus.net/2015/06/mangelverwaltung- bei-der-bundeswehr-neue-begriffe-gleicher-mangel [Zugriff am 05.04.2017]
Erschienen: Das Schwarze Barett Nr. 57