Noch bis zum 20. Januar 2011 ist im Berliner Architekturforum „Aedes“ eine Werkschau der diesjährigen Pritzker-Preis-Träger Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa zu sehen.
Die Ausstellung zeigt Projektmodelle aus dem Hause „Sanaa“ und ergänzt sich fruchtbar mit den Fotos des Bozeners Walter Niedermayr. Hier spricht sich augenscheinlich die mittlerweile schon ein Jahrzehnt andauernde gute Zusammenarbeit aus, so wird z.B. erst durch die Bilderserie zum „Inujima Art-House Project“ der Kontext der „Kunstinsel“ deutlicher, auf der die vorgestellten Häuser und Installationen wirken. Aber davon am Ende mehr.
„…Architekten können Architektur nicht ausstellen…“. Das ist ein Zitat von Kazuyo Sejima, die auch die diesjährige Architekturbiennale in Venedig kuratierte. Diese zeichnete sich bekanntermaßen dadurch aus, dass der Ort selbst das Ausgestellte war. Zugegeben, ein hoher Anspruch, der sich nicht überall umsetzen lässt. Tatsächlich sei der geneigte Besucher darauf hingewiesen, dass bei „Aedes“ die Assoziation „weißer Adler auf weißem Grund“ aufkommt, denn präsentiert werden weiße Modelle in einer weißen Halle. Mit einer Farbe, die eigentlich keine ist, haben wir allerdings eine wichtige Brücke in das Verständnis der Tokioter.
„…Weiss als solches gibt es nicht. Was es gibt, ist eine Empfänglichkeit dafür, weiss zu empfinden…“ leitet Kenya Hara das erste Kapitel seines Buches „Weiss“ ein. Nicht umsonst also verbinden die Japaner mit „Weiß“ auch die Leere und beanspruchen damit das, was zu allererst alles Erscheinende möglich macht. Man sollte sich also nicht damit begnügen, in „objekt-subjekt-gespalteter“ Manier der Abendländer Dinge zu betrachten, sondern dasjenige auf sich zukommen lassen, was über das Begegnende hinausweist. Das Nehmen im „Wahr-nehmen“ sollte in dieser Ausstellung wörtlich aufgefasst und versucht werden.
Nach Hegel ist das reine Nichts ein leeres, bestimmungsloses und reines Sein. Sein und Nichts sind dabei aber nicht dasselbe. Sie sind voneinander unterschieden, wenngleich ineinander verschränkt. Beide „Pole“ verschwinden in ihren jeweiligen Gegenteilen. Das Werden markiert dieses Verschwinden im Entstehen und Vergehen. Dieser kleine Ausflug in den deutschen Idealismus und Hegels „Wissenschaft der Logik“ mag zeigen, dass auch in der jüngeren europäischen Ideengeschichte die Leere in Verbindung mit dem Werden steht.
Auch der späte Heidegger zeigt in seinen Versuchen zur Überwindung der westlichen Erbkrankheit „Metaphysik“ die Nähe zum japanischen Denken. Im Aufsatz „Die Kunst und der Raum“ scheint er die Hegelsche Trias von „Sein, Nichts und Werden“ aufzunehmen, indem er in Abgrenzung zum physikalisch-technischen Raum bemerkt: „…Unentschieden bleibt, auf welche Weise der Raum ist und ob ihm überhaupt ein Sein zugesprochen werden kann…“.
Die Arbeiten von „Sanaa“ durchscheint ein roter Faden, der sich in den Themen „fließende Räume, Wirkung von Licht, Spiel von Transparenz und Materialität“ zeigt. Das Entscheidende dabei ist, dass die Architektur diesen Faden erst möglich macht, dass sie zu einer Art Medium gerät, durch das die Menschen in der Welt sind. Es geht also um Kommunikation und Interaktion von Mensch zu Mensch, zu Ding und zu Ort – und das auf fundamentalste Weise.
Auch hier bietet sich ein Verweis auf Heidegger an. In Bezug auf sein „Geviert“ markiert er ein anderes, nicht-eukildisches Verständnis von Raum. Raum kommt danach von Räumen und das heißt, Zulassen und Einrichten von Dingen in ihren Gebrauch. Das Räumen macht zu allererst den Ort möglich, denn er „…öffnet jeweils eine Gegend, indem er die Dinge auf das Zusammengehören in ihr versammelt…“. Architektur schafft also im ursprünglichsten Sinne „Möglichkeit zum…“ und bedeutet beileibe mehr als ein bloßer Akt von gebautem Ästhetizismus.
Die mediale Verfassung von Architektur kann auch in den Arbeiten von „Sanaa“ abgelesen werden, denn hier wird Bauen werdend und in dynamischem Wirkungsfeldern verstanden, in denen z.B. das Spiel von innen und außen, fließende Formen und Experimente mit Transparenz „räumende“ Charakteristika eines „Wohnens der Menschen in der Welt“ sind.
Nehmen wir z.B. das eingangs schon erwähnte „Inujima Art-House Project“ (Hier Fotos der Onlineausgabe von „domus“), das mit vier Modellen in der Ausstellung vertreten ist. Im Blick auf die weißen Exponate aus der Vogelperspektive mag sich nicht recht erhellen, was in diesem Entwurf außer Kontrastierung sprechen soll. Erst mit Blick auf die Bilderserie von Walter Niedermayr wird deutlich, dass es um Möglichkeitenkonstellationen geht, denn wie Anfangs erwähnt, ist die Leere nicht etwa Nichts, sondern ein Teilhaben des Menschen an Nichts und Sein bzw. deren werdend-vergehende Verschränkung.
Hier noch einmal ein Hinweis von Kenya Hara aus seinem Buch „ Weiss“, der helfen mag, „Sanaa“ und deren japanische Traditionen zu verorten: „…der leere Raum im Zentrum des japanischen Schinto-Schreins (…) ist nach dem grundlegenden Prinzip der Umarmung der Leere gestaltet…“. Wir haben es auch bei den „Art-Houses“ mit einer Weise von wahrnehmbaren Dynamiken zu tun, die sich jenseits aller technischen Bestimmbarkeit „entbergen“. Das „Noch nicht“ ist der Schlüsselgedanke hierbei, denn es schwingt immer schon Etwas mit. Es ist noch nicht da und dennoch da, abwesend und anwesend gleichzeitig.
Im „Aedes-Katalog“ steht zu lesen: „…Inujima ist eine winzige, von nur 50 Familien bewohnte Insel im Seto-Inlandsee. Das Art-House Projekt hat sich zur Aufgabe gestellt, diesen nahezu entvölkerten Flecken in ein “Museum” zu verwandeln (…) In ihrer Gesamtheit betrachtet, erwächst aus den Art-Houses eine neue Landschaft…“. Die entworfenen Häuser und Objekte verwandeln das Dorf tatsächlich, denn sie lassen Etwas zu, lassen zu, dass sich Neues oder Anderes zeigen kann. Sie scheinen ebenfalls Raum vom Räumen zu begreifen und machen auf diese Weise nicht nur Landschaft, sondern auch „Gegend“ möglich.
Erschienen: ARCH+