Architekten sind heutzutage in den modernen Darstellungsformen angekommen und verstehen es, ihr Wissen im medialen Zirkus effektvoll zu verkaufen. Das jedenfalls wird deutlich, wenn man die DVD „Wohnen in der Zukunft“ in Händen hält, die kürzlich auf den Markt gekommen ist.
Aus ihr können die geneigten Zuseher durchaus Gewinne ziehen, denn mit Peter Sloterdijk und Werner Sobek sprechen zwei interessante Männer über ein Thema, das uns in nicht allzu ferner Zukunft betreffen dürfte. „Gut Ding braucht Weile…“, hießt es allerdings auch in diesem Fall, denn der Rahmen des Gedankenaustausches wurde bereits im Februar 2009 gelegt anlässlich einer Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg mit dem Thema „Interieur/Exterieur. Wohnen in der Kunst “.
R 129
Das Projekt „R 129“ steht im Mittelpunkt der dokumentierten Diskussion. Dabei scheint das Logo seines Entwerfers Werner Sobek auch schon Programm zu sein, denn es erinnert eher an kryptische Zeichen einer außerirdischen Spezies.
Mit „R 129“ landet ein Ufo, das unabhängig von öffentlichen Versorgungssystemen ist. Frei beweglich sowohl in Gänze als auch im Innenbereich hat es einen transparent überkuppelten, kreisrunden Grundriss, der jederzeit wandelbar ist und die jeweils aktuellen Bedürfnisse der Nutzer repräsentiert. Erlöst werden die Ufo-Bewohner von starrer Möblierung und geschenkt werden ihnen die Blicke in die Sterne und in die ganze Weite des Himmels.
„R 129“ ist tatsächlich das, was Peter Sloterdijk als Utopie-Kompetenz eines Architekten bezeichnet. Gemeinsame Projekte des Hauses Sobek mit der Raumfahrtforschung lassen die anfänglichen Assoziationen zu Science-Fiction-Filmen und extraterrestrischen Wohnformen weiter deutlich werden. Durchweg sympathisch und weit vor seiner Zeit fordert ein Architekt also das Experimentieren ein.
Höhlen- versus Wolkenmensch
Eine voll verglaste Kuppel wirft freilich Fragen nach der Pragmatisierbarkeit der Sobekschen Utopie-Kompetenz auf und vermutlich unter diesem Eindruck weist Sloterdijk darauf hin, dass die Architekten den Menschen üblicherweise von seiner Schwäche her denken. Diese ungewohnte Perspektive entfaltet er, indem er anmerkt, dass eine Wohnung zu einem deutlichen Teil aus Regenerationszonen besteht (Bad, Schlafzimmer, Küche).
Der „nicht vorzeigbare Mensch“ ist also gleichberechtigt im Entwerferfokus und mit ihm[nbsp] – die Nacht. Diese nämlich war bislang verbunden mit dem, was der Traum zu geben vermag – mit der Absenz des Bewussten also und einer regenerativen Entweltlichung. Ein schöner Gedanke des Philosophen war denn auch, dass die Architekten das Wohnen von der Nacht her denken.
Kann eine solche Regeneration in der totalen Offenheit einer voll verglasten Kuppel gelingen? Machen die Architekten hier den Fehler, zu weit weg zu sein von den Menschen oder ist es das Privileg der Avantgarde, sich eben nicht einzulassen in das Ge-Wohnte, sondern den zukünftigen Menschen vorzuzeichnen? Den Menschen, der sich sein Nomadentum zurückholt, der auf seine Wurzelschicht verzichtet, der, wie Sobek sagte, seine Wurzeln in sich trägt. (Heideggers Gelassenheit, ick hör dir trapsen…)
Peter Sloterdijk führt aus, dass das 20. Jahrhundert das Wohnhaus neu erfunden hat und sieht Parallelen zwischen der metaphysischen Obdachlosigkeit im Zuge „Gott ist tot” und Häusern, die ohne Keller oder auf Stelzen gestellt gleichsam ebenso entwurzelt sind.
Die geistigen Säkularisationsprozesse werden also in Analogie gesetzt zur gesellschaftlichen Vereinzelung. Eine moderne Folge davon ist die Rückgängigmachung der selbstverschuldeten „Umzüchtung“ der Menschen vom Nomaden zum Sesshaften. Dieses Projekt ist nach der Ansicht Sloterdijks im 20. Jahrhundert zu Ende.
Es fällt auf, dass der Philosoph partout hinaus will auf das Seelenleben. Das Innere des Hauses, beziehungsweise der Wohnung sieht er als Manifestationen des Unbewussten und lobt die Architekten dafür, dass sie den Menschen in Gänze sähen und nicht nur als idealisiertes Konstrukt. Architekten und Designer waren seiner Meinung nach schon immer diejenigen, die den Menschen in all seinen Formen, in seiner ganzen Verstricktheit mit der Welt und mit allen zugehörigen Attributen gesehen haben. Architekten als die besseren Soziologen?
Übermäßige Angst vor Eitelkeit scheint Sobek zu fehlen. Das jedenfalls durchscheint in Sätzen wie „Jetlag ist was für Touristen“ oder in seiner geradezu allergischen Reaktion beim Wort „Wohnmobil“. Dennoch sieht man einen sehr interessierten, wenn auch von Sendungsbewusstsein durchdrungenen Architekten, der Anstöße geben will und seiner Zunft ihre Würde zurückgeben, indem er sie erlöst aus der Rolle der Baumanager, in die sie mittlerweile geraten sind. Sobek wird an einer Stelle zu Recht attestiert, der Repräsentant der Widerständigen gegen die „Gemütlichkeitsbewohner“ zu sein.
Postfossil=Utopiefördernd?
Wohnen in „R 129“ ist die Antwort auf sich verknappende Ressourcen. So führt Werner Sobek eindrucksvoll vor Augen, dass die Erdölvorkommen auf dem Planeten in 25 Jahren aufgebraucht sein dürften und ebenso das Süßwasser.
„R 129“ ist nicht nur die politische Antwort, nicht nur die Mobilie anstelle der Immobilie, sondern die Reaktion auf die kommenden und durchgreifenden Veränderungen unserer Lebensumstände.
Es ist bezeichnend, dass neue „regenerative Logiken“ den Menschen als Medium und als Bindeglied zwischen innen und außen sehen. Hier liegt auch eine ethisch-mitweltliche Aufladung der Anthropologie, denn nicht das (weitere) Zerteilen und Zerlegen der Dinge steht im Fokus, sondern das Zusammendenken.
Der besondere Reiz von Interdisziplinarität kann sich dann entfalten, wenn die Diskutanten einander zuhören. Diesen Eindruck gewinnt man durchaus beim Betrachten der DVD. Das „Prädikat sehenswert“ erhält sie deshalb und auch, weil sie ein Beleg ist für eine gegenwärtige, kreative Schöpferkraft. Vielleicht kündigt sich mit Projekten wie „R 129“ der lange vermisste neue Horizont an, der das utopische Potenzial und den Wandel in unsere erstarrte Baukultur bringen kann.
Erschienen in AZ/Architekturzeitung