Textil-Forschung für die Betoninnovation …

By cjg on 16. Januar 2016 — 9 mins read

Kurze Chronik
Die Geschichte des Betons ist an anderer Stelle ausgiebig erklärt, dennoch ist ein Blick in die Vergangenheit nützlich. Ganz dem Diktum Max Webers verpflichtet: „… jede wissenschaftliche Erfüllung bedeutet neue Fragen und will überboten werden und veralten…“, reihen sich nämlich die textilen Optimierungsversuche des Ur-Baustoffes ein in eine kontinuierliche Entwicklung des Materials.

Osteuropäische Altvordere der Eiszeit (rund 14.000 Jahre v.u.Z.) vermischten bereits Steinmehl mit Kalk und Erde, um mit Ziegeln mauern zu können. Die Römer als die Meister der Assimilation trugen das aus Griechenland übernommene Wissen ab 300 v.u.Z zunächst nach Italien und in der Folge sukzessiv ins gesamte Römische Reich.

Mit Vitruv überliefert uns ein schreibender Architekt jener Zeit die damalige Bedeutung des Bindemittels: „…Es gibt eine Sandart, welche von Natur wunderbare Dinge hervorbringt … (Sie, CJG) verleiht in Verbindung mit Kalk und Bruchstein nicht bloß den sonstigen Gebäuden Haltbarkeit, sondern, wenn man auch Dämme im Meer damit baut, so erhalten auch diese unter Wasser Festigkeit…“.

Druckbeständige Bauteile wurden also möglich durch ein geschaltes Gemisch aus Mörtel und Stein. Der „römische“ Zement (Opus Caementitium) brachte den mehr oder weniger rebellischen Völkern um das Jahr Null Tempel, Theater, Straßen etc. und versank langsam in einen Jahrhunderte währenden Schlaf, denn erst um 1700 setzen die Bauchronisten wieder ein mit ihren Berichten.

Kalk, Ton, Sand, Kies und Wasser sind die Zutaten aus dem auch die neuzeitlichen Bauträume sind, wenn 1902 in Cincinnati -durch Stahleinlagen ergänzt- der erste Wolkenkratzer entsteht oder Le Corbusier mit seiner Béton brut-Präferenz, die Büchse der Pandora öffnet, deren eisiger Wind zum ersten Mal im „Brutalismus-Stil“ der 1950er- und 1960er Jahre gefriert.

Quo vadis, Armierung?
Mit mindestens 100 Millionen Kubikmetern verarbeiteten Beton pro Jahr haben wir es mit dem wichtigsten Baustoff in Deutschland zu tun, heißt es bei „Wikipedia“. Druck machen kann man bei Beton reichlich, aber auftretende Zugkräfte führen das Material bekanntlich schnell an seine Grenzen; Stahl war daher bislang seine gängige „bessere Hälfte“ für Zugfragen.

Ein hohes Gewicht und dickleibige Bauteile zollen der stählernen Bewehrung allerdings ihren Tribut und auch die allzu häufigen Rostflecken an Fassaden zeugen von den „Überdeckungs-Problemen“ des Bauelements. Dieses und die Verbesserung des Bruch- und Rissverhaltens von Beton -denn auch dort hat das etablierte „Bau-Dreamteam“ Nachteile- führte Wissenschaftler dazu, über Armierungs-Alternativen nachzudenken.

Bewehrungs-Helfer
Die Idee ist nicht neu, verschiedenste Fasern dazu zu verwenden, um Baustoffe zu verstärken. Die o.g. Altvorderen probierten es noch mit Strohhalmen oder Haaren. Wir Heutigen haben es eher mit Stahl, Glas- oder Kunststofffasern. Das eingelegte Material muss dabei in jedem Fall resistent sein gegen das alkalische Milieu des Betons.

Die Verbesserung der Zugfestigkeit und des Bruch- und Rissverhaltens ist primärer Sinn und Zweck der kleinen Helfer. Stahlfasern und ihre Pendants aus Glas können sich als konstruktiv bzw. statisch wirksame Mikrobewehrung entfalten, während Kunststofffasern eher gegen die Rissbildung in frischem Beton zum Einsatz kommen oder seine Brandschutzeigenschaften verbessern.

Sollen nun auch die Zugkräfte im Beton „unstählern“ aufgenommen werden, wachsen die Fasern in die Länge und entwickeln sich zu komplexen Gewirken und Matten. Wir haben dann die Grenze zum textilbewehrtem Beton oder auch Textilbeton überschritten.

Im Westen was neues
Zusammen mit Dresdener Kollegen wird an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen die neue Bewehrungsalternative erforscht und entwickelt. Beteiligt sind gleich drei Institute, nämlich die für Textiltechnik, Massivbau und Bauforschung.

Besonders ist, dass Textilbeton nicht nur aus der (berechenbaren) Summe seiner Teile bestimmt werden kann, sondern als Ganzes neue Eigenschaften hervorbringt; durch den Einbau des Gewebes in den Beton entsteht nämlich ein neuer Verbundwerkstoff. Für diesen müssen gültige Beschreibungen des Tragverhaltens ermittelt werden, um den Konstrukteuren und Gestaltern eine Bemessungsgrundlage zu bieten.

Davor jedoch kümmern sich die Forscher um geeignete Garne, aus denen die Filamente (Elementfasern) beschaffen sind. Der zu verarbeitende Feinbeton spielt ebenfalls eine große Rolle, denn die Bindemittel müssen auf die Textilbewehrung abgestimmt werden. Die obligatorischen Testreihen, die das „Riß-, Trag- und Verformungsverhalten des Verbundwerkstoffs im Gebrauchs- und Bruchzustand“ beschreiben, werden von den Aachener Forschern ebenfalls betrieben. Last but not least stellt man mit der hauseigenen Maschinenkompetenz die Weichen für die industrielle Fertigung bzw. für die Technologie hierzu.

A -textile- Star is born
Eine mit Feinbeton umschlossene textile Gitterstruktur korrodiert nicht, ist präzise formbar und erfordert eine nur geringe Bauteildicke. Beton zu sparen, heißt Kosten zu reduzieren und -ganz nebenbei- umweltfreundlich zu handeln, wie am Neubau des RWTH-Institutsgebäudes „Innotex“ deutlich wird. Die dort verwendeten textilen Fassadenelemente sind bis zu 80 % verschlankt und benötigen ca. 224 t weniger Beton im Vergleich zu einer konventionellen Bauweise. Diese Reduktion entspricht etwa der Menge des Klimaschädlings CO², die ein durchschnittlicher PKW auf 1. Mio km erzeugt.

Das Tragverhalten der neuen Bewehrung unterscheidet sich positiv vom stählernen Standardfall, denn die Gitterstrukturen liegen ebenflächig und gestreckt im Bauteil. Sie können deshalb die auftretenden Biege- und/oder Zugbeanspruchungen sofort ableiten und verteilen. Rissbildungen treten, wenn überhaupt noch, in viel feinerer Form auf.

Diese Pluspunkte in Sachen Dichte und Dauerhaftigkeit ergänzen sich mit dem Effekt, dass eventuelle Delaminierungen der dünnen Deckschichten erst bei großen Verformungen auftreten. Apropos Verformung: textilbewehrter Beton zeigt ein ausgesprochen duktiles Verhalten, das heißt, dass ein Bruch sukzessiv und erst nach langer Vorankündigung erfolgt und nicht plötzlich mit lautem Getöse.

Designer und Ingenieure haben das neue Material bereits entdecket. Während erstere sich mit den „kleinen Artverwandten“ aus Faserbeton begnügen, um Tische, Stühle, Regale, Sanitärobjekte oder Büromaterialien zu formen, suchen Ingenieure eher Anwendungen, um vorhandene Bausubstanz nachträglich zu verstärken oder instandzusetzen.

Aber auch der Phantasie der Architekten ist keine Grenze gesetzt, denn alle Strukturen haben multiple gestaltbare Oberflächen. Frei geformte (!), also sphärisch krümmbare, dabei tragfähige und noch dazu äußerst schlanke Betonbauteile sind genauso machbar, wie designte Stadtmöbel oder ein extraordinärer Messebau.

Gewebelabyrinthe: Der Faden der Armierung
Damit die Textilien ihre Tragkraft voll zur Geltung bringen können, müssen sie eine innige und dauerhafte Verbindung eingehen mit der „Betonmatrix“. Das Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen arbeitet in diesem Zusammenhang an zwei verschiedenen Methoden, nämlich dem Verwirbeln und Beschichten.

Der grundsätzliche Aufbau der Textilbewehrung besteht aus hunderten Filamenten (Elementarfasern), die zu „Rovings“ gebündelt werden. Diese wiederum sind die Grundlage der Gewebe. Das Material muss alkaliresistent (AR) sein, um dauerhaft statisch wirksam zu bleiben. Die Stärke der „Rovings“ wird mit dem in der Textiltechnik üblichen Maß „tex“ beschrieben. In der Konstruktionsweise der Gewebe werden offenmaschige 2D- oder 3D-Bewehrungssstrukturen unterschieden, wobei 3D bedeutet, dass mehrere Bewehrungslagen mit einem definierten Abstand zueinander gleichzeitig eingebaut werden.

Zahlreiche Versuche zum systematischen Aufspreizen der Faserbündel wurden in der Vergangenheit durchgeführt, denn in den entstandenen Filament-Zwischenräumen kann der Beton sich tief verbinden mit der Bewehrung. Ein „Luftverwirbelungsverfahren“ nebst zugehöriger Maschine sorgt dafür, dass ein „großer Öffnungsgrad bei minimaler Schädigung der spröden Glasfilamente“ passiert. Im Vergleich zum Rohmaterial kann nach der Behandlung die Tragfähigkeit der „Rovings“ über 300 % gesteigert werden. So weit, so gut, denn diese Verbesserung schlägt nur mit 30% bei dem gesamten textilbewehrten Betonbauteil positiv zu Buche.

Als Alternative zum Verwirbeln wird das Beschichten der Filamente erforscht. Polymere Verfahren eignen sich dafür besonders, wie in Garnzugversuchen ermittelt wurde. Epoxidharz ist der Spitzenreiter dabei und brachte eine um nahezu 200 % gesteigerte Zugfestigkeit. Im Dehnkörperversuch konnte sich eine Traglaststeigerung des textilbewehrten Bauteiles um mehr als 130 % messen lassen.
Anbindung von unbeschichteten und beschichteten Multifilamentgarnen in Beton, Quelle RWTH

Weiche Schale und harter Kern
„…Alles was geschalt werden kann, kann auch gebaut werden…“, so lautet die pragmatische Haltung der Betonwerker. Wenn aber die meisterliche Einzelarbeit auf der Baustelle unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit steht, ist der Weg nicht weit zum vorproduzierten Fertigteil. In Handarbeit, halb- oder vollautomatisch hergestellt, sind die seriellen Module nicht mehr wegzudenken aus dem heutigen Baualltag. Auch für Textilbeton haben die Forscher Varianten in der Erprobung, um wirtschaftliche Fertigteile zur Verfügung zu stellen.

Gegossen werden kann Textilbeton recht einfach, wenn unkomplizierte Lastannahmen im Bauteil zu erwarten sind. In einem solchen Fall ist meist nur eine einzige Bewehrungslage im Schalkörper. Wenn sphärisch gekrümmte Formen zur Herstellung anstehen, ist das mit einem Vorspannen der mehrlagigen, dreidimensionalen Textilien verbunden. Spezielle Klemmen halten dabei die Bewehrung in der erforderlichen Lage. Das Ganze geschieht momentan per Hand.

Auf der Suche nach automatisierten Fertigungsverfahren geriet die „Laminierung“ in den Forscherfokus. Beton- und Bewehrungslagen wechseln sich dabei in der Schalung ab und lassen „ebene Querschnittsgeometrien“ als Fertigteil entstehen. Freiformen sind mit dem Laminierungsverfahren bislang nur in Einzelfällen und nur für kleinformatige Bauteile seriell hergestellt worden. Hier läuft der Optimierungsprozess weiter.

Einige Firmen im freien Markt beschäftigen sich ebenfalls mit der Entwicklung von Produktionsanlagen für die „Herstellung kurzfaserbewehrter Betonbauteile“, so hat z.B. „Novactret“ ein kombiniertes Injektions- und Auspressverfahren für Bauteile entwickelt. Bei „Durapact“ hingegen kommt ein „Low-Pressure-Extrusions-Prinzip“ zum Einsatz, das die textile Bewehrung in einen Extruder kontinuierlich einführt. Frei geformte und statisch hoch beanspruchbare Elemente als Fertigteile sind allerdings auch hier noch Zukunftsmusik.

Der Wille zur Praxis: Innotex
„INSU-SHELL“ ist der geheimnisvoll klingende Name für ein EU-gefördertes Projekt, in dessen Rahmen das Institut für Textiltechnik die Möglichkeit bekam, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Genauer gesagt, in sein zukünftiges Domizil umzusetzen, denn im Neubau werden seine acht bislang im Stadtgebiet Aachens verteilten Niederlassungen zu einem „Kompetenzzentrum für innovative Textilstrukturen und Medizintextilien“ (Innotex) gebündelt. Die weltweit erste Gebäudeteilfassade aus textilbewehrten Betonsandwichelementen ist das Highlight im Neubau und soll gleichzeitig die Wirkung eines Demonstrationsobjekts haben.

„Innotex“ wird in zwei Bauabschnitten realisiert. Der erste Abschnitt (das viergeschossige Technikum) wurde vor zwei Jahren fertig und stellt mit seinen rund 1.000 m² den Kopfbau der Anlage dar. Der ortansässige Generalplaner Carpus+Partner integrierte im 2. BA die Fassadenelemente aus Textilbeton in die Planungen für die West- und Südfassade.

Die im Projekt entwickelten Elemente bestehen aus zwei Textilbetonschalen mit einer Dicke von 15 mm im Flächenbereich sowie einer Randverstärkung. Durch Einbringung eines PUR-Hartschaumkernes zwischen den Betonschalen entsteht die spezifische Sandwichbauweise des Elementes.

Der Bau hat im Oktober2008 sein Richtfest erlebt und wird im nächsten Frühjahr bezugsfertig sein. Der quaderförmige, teilweise zweigeschossige Neubau misst 120 m und verteilt auf einer Nutzfläche von rund 4.000 m² Maschinen, Labore und Arbeitsräume für die Forschungsbereiche Faserverbundwerkstoffe, textile Flächenherstellung, Textilveredlung, Spinnfaserverarbeitung und Medizintextilien.

Fazit
Textilbewehrter Beton ist auf dem besten Weg, der neue Blockbuster unter den Verbundwerkstoffen zu werden, denn er kombiniert die günstigen Materialeigenschaften des Betons mit denen der technischen Textilien. Mit diesem neuartigen Werkstoff können ganz neue Anwendungsgebiete erschlossen werden, die sich von filigranen Tragkonstruktionen bis hin zum Gebrauchsgüterbereich erstrecken.

Erschienen: (in gekürzter Fassung) DBZ – Deutsche BauZeitschrift 4/2009