Die Fragen rund um die beklagenswerte Stellung der Baukultur in Deutschland beschäftigen glücklicherweise immer mehr politisch Verantwortliche. Die Initiative für Baukultur des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat in Thüringen den Architekten und Landesvorsitzenden des BDA, Hilmar Ziegenrücker, auf den Plan gerufen…
Angeregt von den Vorstellungen des Ministers Bodewig zur Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins, will Ziegenrücker zunächst das Problem der Vergabepraxis der öffentlichen Mittel für den Bau angehen. So sollen die jährlich 300 bis 400 Millionen Euro an Bundesmitteln für das Land Thüringen auch als Steuerungsinstrument für fairen Wettbewerb und architektonische Qualitätswahrung verstanden und genutzt werden.
Jedes Ministerium des Freistaats kann bislang über das Landesfinanzministerium Gelder für Bauprojekte beantragen und diese im weiteren Verlauf intern vergeben. Während die großen Summen der Förderungen über Architekturwettbewerbe vergeben werden, ist bei mittleren und kleinen Beträgen unterhalb von 200.000 Euro keinerlei Ringen um die beste Idee vorgesehen. Das Verfahren beinhaltet außer einem Vorentwurf bei der Antragsstellung keine architektonischen, geschweige denn ästhetischen Einflussmöglichkeiten. Ist das Bauvorhaben im jeweiligen Ministerium erst einmal genehmigt, fühlt sich keiner mehr berufen, die Ergebnisse zu kontrollieren. So kommt es zum allgegenwärtigen planerischen Wildwuchs in Städten und Gemeinden, und dem „Klüngel im weiteren Realisierungsprozess ist Tür und Tor geöffnet.
Eine Neustrukturierung der Vergabepraxis soll nun die Fehler im System beseitigen. Jedem Einzelministerium soll eine Art Gestaltungsbeirat zur Seite stehen, der für die Chancengleichheit, Qualitätswahrung und Ästhetik der Bauvorhaben sorgt. Die Mitglieder der Beiräte würden in ihrer Anzahl auf ein Minimum begrenzt werden, und die Bürgerbeteiligung könnte sich über dieses Modell weiter intensivieren. Alle Bauvorhaben müssten in einem Wettbewerbsverfahren abgewickelt werden, das einer allgemeinen Ausschreibung folgt und an dessen Ende die geeignetsten Bewerber zu Stegreifentwürfen eingeladen würden.
Der Praktiker weiß, dass der Architektur-Wettbewerb kein Allheilmittel ist. Zu oft sitzen in den Jurys Gefälligkeitsbediener, und zu oft bekommen junge oder kleinere Architekturbüros keine Chance. Genau an diesem Punkt setzt Ziegenrücker an, indem er ein striktes Rotationsprinzip zur Besetzung der Beiratsmitglieder etablieren will. Dadurch soll, dem niederländischen Beispiel folgend, die Förderung junger und kleinerer Büros angestrebt werden. Ob es dazu kommen könnte, dass die Einrichtung der Gestaltungsbeiräte zu noch mehr Bürokratie und folglich zur Lähmung der Bauprozesse und Entscheidungen führt, muss sich der Initiator der Initiative freilich fragen lassen. Auch könnte man annehmen, dass so mancher Architekt dieses Verfahren als zu umständlich und kostenaufwendig und somit als kontraproduktiv einstufen wird. Setzt man auf ehrenamtliche Beiräte? Zu welchen Lasten gehen die Aufwendungen in Bezug auf die Organisation und Durchführung des Verfahrens? Die Chancengleichheit und bauliche Qualität von Architektur kann man sicherlich einigermaßen objektiv prüfen, aber was ist mit der ästhetischen Aussagekraft der Entwürfe? Setzt man einen Gestaltungskanon voraus und nähert sich einer restriktiven Vorgabepraxis oder lässt man eine breite Debatte über das baulich Angemessene zu? Hilmar Ziegenrückers Glauben an die Politik in allen Ehren, aber was ist mit den Millionen und Milliarden an Geldern, die nicht durch die öffentliche Hand vergeben werden und die den Lebensraum der Menschen verändern?
Eine Menge Fragen sind noch zu beantworten, dennoch sind Initiativen wie diese in Thüringen wichtig und sollten Schule machen. Eine Initiative für die Baukultur kann nicht per Erlass verordnet werden, sondern muss in vielen Facetten an so vielen Orten wie möglich umgesetzt werden.
Erschienen: Bauwelt 20/02