Von fiktionalen Wänden …

By cjg on 22. Februar 2016 — 4 mins read

Seit Anthony Vilder 2002 in «UnHEIMlich. Über das Unbehagen in der Architektur» auch die Schnittstellen des Gebauten zur Psychoanalyse ausgelotet hat, scheint sich in der deutschen Literatur bzw. Forschung in diesem Themenfeld nur wenig bewegt zu haben. Deshalb dürfte der neue Sammelband „Zwischen Architektur und Psychoanalyse. Sexualität, Phantasmen, Körper“ für entsprechende Tellerrandgucker sicher anregend sein. Er basiert auf der interdisziplinären Tagung „Transparenz und Intimität“, die 2009 in Zürich das Thema teils theoretisch, teils mit den Mitteln der künstlerischen Forschung auslotete.

Freud-liche Architektur.

Der Essay von Jane Rendell z.B. spürt den Architekturbezügen in Siegmund Freuds Werk nach. Dieser bediente sich nicht selten grundrissähnlicher Zeichnungen und einer dreidimensionalen Ausdrucksweise (etwa der Räumlichkeit der Subjektivität mit Grenzen, Umschließungen, Durchgängen oder Schwellensituationen). Parallelen von Psyche und Baukörpern liegen für die Autorin vor allem in der Beziehung zwischen innen und außen, nah und fern, gegenwärtig und vergessen. Sie schlägt auch die Bögen zur Erinnerung und
dem Verdrängen, dem Déjà vu und letztlich auch zum Unheimlichen.

Hier fügt sich der Beitrag von Karl-Josef Pazzini gut an. In ihm wird geklärt, dass Freud nur selten direkt von Architektur schreibt und sie vielmehr als Archäologie sieht. Vom Haus allerdings spricht er öfter und auch von Konstruktion. Diese jedoch dient der Auflösung und nicht der planvoll kontrollierten Herstellung. Die Gemeinsamkeit liegt vielmehr darin, dass Konstruktionen im jeweiligen Bau/Psychoanalyse-Ergebnis wirkungsvoll und dauerhaft prägend verbleiben: „Architektur könnte man dann ähnlich wie die Konstruktion in der
Analyse wie ein mit Kunst hergestelltes Symptom verstehen. Das Symptom schafft eine Verknüpfung zwischen Realem, Symbolischem und Imaginärem und stellt eine solche Konstellation mehr oder weniger fest“.

Körper in Datenräumen.

Einen spannenden Ausflug in eine Gegenwart, die immer mehr von rechnergestützten digitalen Informationen beeinflusst wird, stellt die Vorstellung der Gruppe „BridA/Sendi Mango“ dar. Die Künstler lassen in Echtzeit die Bewegungen in ausgewählten städtischen Umfeldern bzw. Plätzen (z.B. der Checkpoint Charlie in Berlin) zu sich permanent wandelnden Kunstwerken werden. Passanten und Fahrzeuge hinterlassen dabei helle wie dunkle Klänge und verschiedenfarbige Linien, die nur solange existieren, wie deren Erzeuger in Bewegung sind. Für die „audiovisuellen Sinfonien“ werden Überwachungskameras
eingesetzt und damit kreativ zweckentfremdet. Eine performative Methode der Aneignung von Stadtraum, die sich eines kritikwürdigen Verfahrens (nämlich dem unaufhörlichen Sammeln individueller Daten) bedient, bringt gleichzeitig Werke hervor, die sich durch ihren zufälligen Charakter den traditionellen Zugriffen der Kunstgeschichte entziehen. Das Individuum gerät hierbei in die Rolle des abstrakten Bewegungsdaten-Lieferanten, es prägt das Bild und verschwindet doch gleichzeitig unidentifizierbar in ihm. Für den Rezipienten wiederum soll es so leichter werden, einen sinnlichen Zugang zu den jeweiligen räumlichen
Situationen zu bekommen und damit wird auch Potenzial erschließbar, die Grenzlinien zwischen innen und außen neu in den Blick zu nehmen.

Psychogeographien und Triebe.

Dieses Umarbeiten von räumlichen Beziehungen thematisiert auch Helge Mooshammer, indem er die zeitgenössischen Praktiken des Performativen als Suche ansieht nach: „dem Unsichtbaren als dem Unbekannten, den Möglichkeiten seines Erlebens außerhalb der bezeichneten, materiell repräsentierten Bahnen“. Er exemplifiziert das am Beispiel der schwulen Praxis des „Cruising“, die sich als zufallsgesteuertes, zielloses Erkunden den Raum immer wieder neu erschafft, ihn zu einem Schauplatz der Ambivalenz und des Abenteuers macht. Die Vermischungen bzw. Umschreibungen zwischen Imaginationen und (städtischer) Landschaft erscheint hier freilich wie die Einlösung der situationistischen Theorie des Umherschweifens der 1960er-Jahre. An diese scheint sich auch Insa Härtel zu halten und schildert u.a. mit Freud, Foucault und de Certeau den Raum als mit „Qualitäten und Phantasmen aufgeladen“. Die Illusion einer leeren und beherrschbaren Gesamtsphäre will sie zurechtrücken und stellt dagegen eine vorübergehende Entleerung oder Entladung des unheimlich aufgeladenen Raums, die dem jeweiligen performativen Akteur eine triebhaft-aggressive Aneignung zuerst ermöglicht.

Eine libidinöse „Bekleidungstheorie“?

Ebenfalls einer sexuellen Ausdeutung des Gebauten bzw. zu Bauenden spürt Doina Petrescu nach. Sie plädiert dafür, mittels Rechenmaschinen generierte architektonische „Form als eine libidinöse, delirierende Konstruktion“ zu verstehen und arbeitet sich hierzu entlang am Ansatz von Gaetan Gatian de Clérambault bzw. dessen „drapierten Gewändern“. In einer textilen Faltungskunst nämlich liegt, so der französische Psychoanalytiker, „ein Wissen, welches aus der Fähigkeit beruht, Form zu konstruieren, ohne zu sehen […] ohne
narzisstische Identifikation“. Diese Tendenz der Körperlichkeit lässt den Stoff (die Seide) zur Leidenschaft und bei seinen vier Patientinnen auch zum Masturbationsmittel werden, denn im Gegensatz zum männlichen Fetisch ist der Gegenstand nicht der Ersatz für jemanden, sondern selbst vollwertiger sexueller Partner. Hier nun schlägt die Autorin wieder die Brücke zur parametrischen Oberfläche der animierten Form, denn auch sie ist „generativer, selbsterklärender und libidinös aufgeladener Prozess“.

Zur Sinnlichkeit des Baue(n)s.

Manche haben zur Psychoanalyse und deren Übervater Siegmund Freud ein gespaltenes Verhältnis, so ist z.B. seine Übertragung naturwissenschaftlicher Begriffe und Methoden (z.B. das Ursache-Wirkung-Prinzip) auf das Unbewusste sicherlich verfehlt. Der vorliegende Sammelband allerdings sollte unter einem andern Licht gesehen werden. Es gelingt nämlich in ihm, sich ein Stück weit klarer zu werden über die komplexen Interaktionen zwischen Menschen, Räumen und Bauwerken. Mitsamt Gefühlen, Erinnerungen, Spuren, Körpern und
Begierden ist der Umgang mit Gebautem nämlich „heiß“ und nicht „kalt“. Diese Lektion könnte unter Umständen bei Architekten viel Positives bewirken.

Erschienen (leicht gekürzte Fassung): TECH21