Wanderungen im Ge-Stell: Vorbildlich, nicht utopisch!

By cjg on 23. Juni 2021 — 4 mins read

Lange ist es her, dass ich Hans Kollhoff persönlich erlebte. Im Reisebus gondelten wir damaligen Architekturstudenten mit ihm durch Berlin. Er zeigte seine Stadt, lobte dieses und jenes Gebäude mit Emphase und verriss andere ohne jede Gnade. In der Rückschau ist unsere damalige Ratlosigkeit bezeichnend. Wir kamen nicht zurecht mit seiner klaren Kante. Irgendetwas wehrte sich im Inneren gegen diesen Architekten, der so unversöhnlich schien.

Wir, seinerzeit mit naiver Offenheit im Übermaß gesegnet, lieben doch dieses gestalterische Durcheinander. Fühlten uns wohl in der Anonymität der Großstadt. Setzten Unverbindlichkeit mit Freiheit gleich. Anders dieser Mann. Er hatte keine Spur unserer habitualisierten Verantwortungslosigkeit, verfügte vielmehr über eine Richtschnur, mit der das Unzusammenhängende zusammenzuhalten war. Er hatte sich entschieden, verkörperte eine Form. Für uns war das irgendwie interessant und abschreckend gleichermaßen.

Nun scheint mir, dass Kollhoff seine Zeit mit scharfem Blick sah. Er agierte gewissermaßen auch schon als Kriegsberichter. Sah schon damals, dass die städtische Gegenwart Berlins einem Ruinen- und Trümmerfeld glich. Dabei war er kein Feind der Moderne, wohl aber ein unnachgiebiger Kritiker der Fehlentwicklungen der industrialisierten Gestaltungsmaximen, die das beginnende 20. Jahrhundert zunächst Europa und dann dem Rest des Globus beschert hatte.

Jüngst erschien eine Aufsatzsammlung Kollhoffs, in der dessen Credo ausbuchstabiert ist. Zwischen 2011 und 2013 sind neun Aufsätze datiert. Der, jedenfalls dem Geburtsjahrgang nach, 68er hatte 22 Jahre lang eine Professur an der ETH Zürich inne, die 2012 endete. Tatsächlich ist es seither still um ihn geworden, so sind die aktuellsten Publikations- wie Projektlisten auf Kollhoffs Homepage fünf Jahre alt und im Netz war nur ein einziges aktuelles Interview mit dem Magazin „Cicero“ zu finden.

Zum Büchlein: in den Texten plädiert der Architekt für Orte, an denen man sich aufgehoben fühlt, mahnt kollektive Anstrengungen an, um Architektur und Stadt zu verbessern, übt Kritik am globalisierten Handeln, kommerziellen Egoismus und verneint die Gleichsetzung von technischem Fortschritt mit Lebensqualität. Den Verächtern der Bautradition, die seit Ende des Ersten Weltkrieges bis dato wirken, hält er entgegen, dass aus Nichts nichts zu schöpfen sei – schon gar nicht Großes.

Mit Investments, Developers, Shareholder-Value rechnet Kollhoff ab. Auch Aufsichtsräten und Rating-Agenturen billigt er keine bauliche Kompetenz zu, sondern markiert durch deren ausschließlich ökonomischen Fokus die Zerstörung menschengerechten Raumes durch Planung. Aber nicht nur die Großkopferten sind verantwortlich, auch jeder, der sich kritiklos dem konsumistischen Zeitgeist hingibt und sich begnügt mit der Funktion als „Verbraucher“.

Zu viele hätten es sich bequem gemacht in den Gleichungen: neu und andersartig = bewunderungswürdig / bewährt und überliefert = langweilig. Künstlerisch zu handeln, so Kollhoff, ist unterschieden vom Etikett „Künstler“. Vielmehr sei „Schönheit kollektive Anstrengung“. (S. 63) Demütig sollen wir umgehen mit Arbeit und Leistungen vorangegangener Generationen. Es gehe darum, Gemeinschaft räumlich zu fassen und zu symbolisieren. Architektur sei ferner einer tektonischen Logik unterworfen, die sich „als gegliederter Körper in anthropomorpher Analogie“ auspräge. (S. 74)

Einen Wiederanschluss an diese Erkenntnis bringt uns die Lebensqualität innerhalb gebauter Umwelten zurück und stellt auch einen Ausweg dar aus der körperlich fühlbaren urbanen Sinnkrise, so Kollhoff. Dass der Architekt sich dabei als deutscher Europäer versteht, verdichtet sich im Essay „Cittadini“. Hier mahnt er eine aristokratische Gesinnung an, die das beste Rüstzeug liefere, um sich den „Stereotypen des Neuen, Visionären, Genialen“ (S. 123) erfolgreich zu widersetzen.

Aristokratie will Kollhoff als Haltung verstanden wissen und verbindet diesen Begriff mit Form. Darin geborgen ist notwendig die Absage an einen „Anything Goes-Pluralismus“. Vielmehr wächst aus solcher Haltung ein traditionsgesättigtes Architekturethos. Im Text „Stolz – eine urbane Tugend“ stellt der Architekt diesbezüglich fest: „Standhafte, solide Gebäude gelten als Ausdruck totalitärer Gesinnung, als Provokation.“ (S. 92) Hingegen entsprächen Gebrochenheit, Formlosigkeit und Flüchtigkeit politischer Korrektheit und ließen sich obendrein im Zeitgeist bestens vermarkten.

Im Aufsatz „Ich und Wir“ geht Kollhoff seine Zunft an, denn deren Orientierungslosigkeit macht er verantwortlich für die bauliche Misere. „Ich, ich, ich“ sei geblieben in einem Planungs- und Realisierungsprozess, in dem Design die letzte Bastion des Architekten zu sein scheint. Design freilich ohne Ideal oder Werte, ohne Rückbindung. „Architektur als Marke“ ist der zugehörige Trend, um dem globalen Jahrmarkt der Eitelkeiten zu Diensten zu sein. Im Zusammenhang damit stehe eine (Ver-)Zweidimensionalisierung des Gebauten, denn entscheidend seien keine räumlichen Qualitäten, sondern ein Bild, das ins jeweilige Marketingkonzept passe.

Fassen wir zusammen: Architekt sein und kein Künstler / gegliedert und plastisch bauen / Entwurfs- und Handwerkstraditionen würdigen / aus dem kollektiven Gedächtnis der Länder und Regionen schöpfen / eine europäische Aristokratie als Haltung fruchtbar machen / Gemeinschaft verkörpern helfen / den ökonomischen Fokus zügeln / Globalismus im Denken und Handeln abwehren / sich der „unheiligen Allianz von politischer Korrektheit und skrupellosem Wirtschaftsgebaren“ (S. 124) entziehen / es ablehnen, bloßer Verbraucher zu sein.

Fällt Ihnen etwas auf? Ja, das ist die maximale „Versündigung“ am herrschenden Zeitgeist! Genau – und deshalb lassen dessen kritikscheue oder gar ideologisch gefestigte Vertreter auch kein gutes Haar an diesem Architekten. Wenn mich nicht alles täuscht, dürfte das Hans Kollhoff nicht aus der Ruhe bringen. Einige Jahrzehnte hatte er Zeit, seine Saat zwischen die Trümmer zu sähen. Bleibt zu hoffen, dass sie hie und da auch aufgehen konnte.

Erschienen: Online-Kolumne bei TUMULT – Vierteljahresschrift für Konsensstörung

WANDERUNGEN IM GE-STELL

Architektur: von der Königin der Kunst zum binärkodierten Bild innerhalb von Rechenmaschinen. An einer ehemaligen Zunft lässt sich der Siegeszug der Kybernetik trefflich nachzeichnen und zugehörig die bedingungslose Kapitulation vor dem Sachzwang des Ge-Stells. Diese Kolumne wird Spaziergänge auf den Schlachtfeldern der Moderne dokumentieren. Sie wird kriegsgeschichtliche Beispiele referieren, Operationspläne, taktische Skizzen, Munitionsreste und Waffensysteme sichten, Trümmer betrachten oder auch versprengte Stoßtrupps zu Wort kommen lassen.

https://www.tumult-magazine.net/post/christian-j-grothaus-wanderungen-im-ge-stell-vorbildlich-nicht-utopisch