Was Bildhauerei der Architektur zeigen kann …

By cjg on 19. Februar 2016 — 3 mins read

Noch bis zum 20. März läuft in Berlin die Schau »Elemente. Schwerkraft. Gleichgewicht. 40 skulpturale Positionen«. Ursprünglich hatte die Kuratorin Paulina Tsvetanova zeitgenössische Bildhauerei aus Berlin und den umgebenden Bundesländern zugänglich machen wollen. Herausgekommen ist dabei ein reicher Fundus an Formen und Strukturen, der auch zum architektonisch vorgeprägten Staunen einlädt.

Weniger als 10 Prozent des Kunstmarktes machen Skulpturen aus, wie Ralf Kirberg, der Vorstand des Bildhauernetzwerkes »sculpture network« 2012 verlauten ließ. Hier schlägt sich offensichtlich der digitale Sog ins Zweidimensionale auch im Kunstbetrieb nieder. Antagonistisch verhielten sich „2D und 3D-Kunst“ auch in der Vergangenheit nicht selten. Exemplarisch sei hier an den Anfang des 16. Jahrhunderts in Florenz erinnert, als die beiden Heroen Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarotti aufeinandertrafen. Galt für den ersten die Malerei als höchste Kunst, zeigt der zweite u.a. mit seinem »David« oder der »Bibliotheca Laurenziana« auch uns Heutigen noch, wie erdhafte Elemente die Kräfte des ganzen Körpers fordern wie fördern und nicht nur den Sehsinn.

Der Wandel der Bildhauerei entzieht sich natürlich nicht den großen Strömungen in der Kunst. Allerdings ist die Schwesterdisziplin der Architektur durch die Weigerung, den antiken Verbindung von Proportionen, Harmonien und menschlicher Physiognomie weiter zu folgen, Anfang des 20. Jahrhunderts nicht in die Falle eines zweckorientierten Funktionalismus getappt. Vielmehr konnte die Arbeit an der Skulptur auch und gerade mit dem Bruch der Moderne eine Freiheit gewinnen, von der das meiste des gegenwärtig Gebauten auch heute noch weit entfernt ist. Ausgenommen von dieser Einschätzung sind allerdings einige Architekten, die unter Zuhilfenahme der Rechenmaschine freiere Formen nicht nur generieren, sondern auch realisieren können. Hier ist u.a. Jürgen Mayer H. (Metropol Parasol) in jüngerer Zeit positiv hervorgetreten.

Was hat Architektur mit Skulptur zu tun? Ganz sicher gehen die Protagonisten beider Kunstformen mit Material um. Darüber hinaus aber wirken sie dreidimensional und leiblich. Sie modellieren den Raum, bilden ihn zunächst, indem sie ihn ein-, um- und ausgrenzen. Aber nicht nur das, aus den Grenzen wirkt etwas in den Raum hinein. Gernot Böhme hat das meisterlich auf den Punkt gebracht, indem er Ekstasen identifiziert, die von den Dingen ausgehen. Der Raum wird in spezifischer Weise gebildet und gebeugt – und das unaufhörlich neu, in jeder Sekunde anders als zuvor. Atmosphäre ist also das verbindende Element von Architektur und Skulptur. Sie hat maßgeblich etwas mit Ekstasen von Dingen zu tun, die Räume bilden (Heidegger spricht hier von Einräumen), in denen wiederum die jeweiligen Umweltbedingungen in Form von Klang, Licht, Temperatur etc. dem Menschen erst begegnen können.

Spannend ist es, die Exponate mit den Augen des Architekten zu lesen bzw. mit dessen Hand zu spüren. Nebenbei ist dieses Spezifikum im Umgang mit Skulptur notwendig, um die ganze Dimension der Ekstasen (s.o.) des Artefakts zu erfahren. So lässt z.B. Manfred M. Bonewitz u.a. mit »Capo Vaticano« den Unterschied zwischen einer bearbeiteten, polierten Oberfläche und der naturbelassenen spüren. Was zunächst trivial erscheint, eröffnet jedoch Horizonte, für die Frage danach, welcher Stoff welche Form authentisch verkörpern kann. Es ist eben ein Unterscheid, ein Material als Tapete zu betrachten, die von einem Konstrukt gehalten wird oder sich auf dessen Massivität einzulassen und damit die Volumen zu bilden. Freilich wäre eine solche Herangehensweise ziemlich weit weg von der gegenwärtigen Alltagsarchitektur und deren Bauweisen.

Oder nehmen wir die Arbeit »Brainfish« von Michael Ernst. Seine kinetische Skulptur ist um vielfältige Achsen drehbar und erinnern entfernt in ihren feinen Balancen an László Moholy-Nagy mit seinem Licht-Raum-Modulator (1930). Für den in Thüringen ansässigen gelernten Kunstschmied ist es wichtig, die dem Auge verborgenen Naturkräfte wahrnehmbar zu machen. Sein eher konstruktiv-additiver Stil setzt natürlich präzise Planung voraus, darin geht er parallel mit der Arbeitsweise vieler Architekten. Die klare Vorstellung der Formen, noch bevor ihnen in die Welt geholfen wurde, ist nach eigenem Bekunden auch das Credo von Ulrike von der Löcht. Sie spricht mit »Komposition 7« eine geometrisch »archi-skulpturale« Sprache und kann (freilich nur in diesem Maßstab) dabei auch dem Carara-Marmor bislang ungeahnte Figurationen abringen.

Ein gegenläufiger Ansatz verkörpert sich in anderen Exponaten, bei denen keine »Vorstellungen« die Werke dominiert zu haben scheinen. Vielmehr wirken z.B. Rainer Maria Matysiks »Wolke 1« oder Ulrike Buhls »Kopfüber« so, als wären sie erst in einer Interaktion von Mensch und Material hervorgekommen. Die jeweiligen Formen wurden eher gefunden bzw. variiert. Dieses »geronnene Tasten« gleicht dabei einer dreidimensionalen Momentaufnahme, denn die Werke scheinen aus sich selbst herauszufließen und wirken, als ob sie kurz davor sind, ihre nächsten Zustände (auch wieder vorübergehend) einnehmen zu wollen.

Erschienen: AZ/Architekturzeitung