Wien, das Hamburg des Ostens …

By cjg on 29. März 2016 — 2 mins read

Noch bis Mitte August läuft in Wien die Ausstellung „Wien. Die Perlen des Reiches.“ Planen für Hitler. „Park Books“ gibt zusammen mit dem Architekturzentrum Wien (Az W) einen zugehörigen Katalog heraus, der ein „[…] neues Licht auf eine längst verloren geglaubte Stadtgeschichte wirft und eines der umfassendsten von Wiener Architekten mitentworfenen Bauprogramme des 20. Jahrhunderts dokumentiert.“ (S. 28)

Dem Leser deutscher Zunge schwingt so manches jahrzehntelang antrainierte Vorurteil mit, sobald das Buchstabenkürzel „NS“ auftaucht. Seit einigen Jahren jedoch wird die bußwillige Erwartungshaltung in Sachen Stadt und Architektur zunehmend konterkariert. Hier sei u.a. auf das Buch „Städtebau für Mussolini. Auf der Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien“ hingewiesen, das 2011 erschien; Harald Bodenschatz dokumentierte seinerzeit die Modernität stadtplanerischer Maßnahmen im Zeichen des Rutenbündels (Freilegung von Denkmalzonen, Wohnungsbau, Stadterweiterungen, Sumpftrockenlegungen etc.).

Wien galt den Nationalsozialisten als das „Hamburg des Ostens“ und sollte zu einer Zentralstadt Südost- und Mitteleuropas werden. Die Entwicklung der Häfen, Wasserstraßen, Flughäfen, Industriezonen, Siedlungen, Verkehrswege – sprich Infrastruktur – waren daher wichtige Aufgaben. Ein „System der zentralen Orte“ gab den Rahmen, verstreute Kräfte räumlich zu bündeln und der „Gauwirtschaftsplan“ wiederum band alle institutionellen und räumlichen Organisationsmaßnahmen zusammen.

Auch funktionalistisch-moderne Stadtplanungsparameter (Durchgrünung, Bandstadt, Auflockerung etc.) fanden in den Raumplanungen eine NS-komforme Umsetzung – freilich stets eingebettet in Visionen, die der Ankündigung Adolf Hitlers folgten, die er am 9. April 1938 während des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich aussprach: „Seien Sie überzeugt: Diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle! Ich werde sie in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig ist und sie der Obhut des ganzen Deutschen Reiches, der ganzen Deutschen Nation anvertrauen. Auch diese Stadt wird eine neue Blüte erleben.“

Gesagt, getan. Die Um- bzw. Neugestaltung der Stadt trug den Titel „Groß-Wien“. Sie begann bereits im Oktober 1938 und war zuvörderst charakterisiert durch eine breite Monumentalachse, die über den Donaukanal gezogen wird und in einem Forum mit Kuppelhalle endet – nicht zuletzt folgte dieser Ansatz der Idee, Wien tatsächlich mit der Donau zu verbinden. Ein Bauprogramm wie: Bahnhof, Versammlungshallen, breite Achsen etc. ähneln auch anderen Neuplanungen im 3. Reich und die Schleifung eines vorwiegend von Juden bewohnten Stadtteils erstaunt ebenfalls nicht. Vorgesehen waren auch neue Wohnquartiere, die enge Vernetzung der Verkehrsinfrastruktur mit dem Umland, die Ergänzung der Ringstraße und die Neugestaltung des Helden- und Rathausvorplatzes.

Der Katalog dokumentiert die o.g. Planungen wie auch die für den Siedlungs- und Wohnungsbau anschaulich, stellt Oswald Haerdtl – den deutschen Designer – vor und zeigt auch die gestalterischen Ziele für den „Neuen Osten“ (Bratislava, Prag und Krakau) auf. Ein Block mit gut 50 Seiten Bildern ist das Bindeglied zu einem Interview mit Klaus Steiner. Er hatte seinerzeit dem „Architekturzentrum Wien“ eine detaillierte Sammlung nationalsozialistischer Planungen übergeben, die eine neue Perspektive auf die Stadtbaugeschichte Wiens möglich machten.

„Wien, die Perle des Reiches“ schließt mit zahlreichen biographischen Skizzen damalig beteiligter Stadtplaner und Architekten. Im Vergleich mit der ästhetischen Rezeption des faschistischen Italien (s.o.) fällt es offenbar immer noch schwerer, den „Nationalurbanismus“ ausgewogen und abseits von Stereotypen (Megalomanie etc.) zu betrachten. Hier hebt sich der Band wohltuend ab. Er wirkt im besten Sinne entspannt und zeigt einen (endlich) angemessenen Umgang: „In der Nazizeit und auch danach sind unglaubliche Dinge passiert. Die Leute sollen wissen, wo die Dinge herkommen, auch wenn sie aus der rechten Ecke kommen. Es ist einfach wichtig für die Stadt, ihre Runzeln zu bemerken und sie nicht zu kaschieren.“ (S. 195)

Erschienen: AZ/Architekturzeitung