Zur Interaktion von Architektur und Kunst …

By cjg on 18. Februar 2016 — 4 mins read

Mit dem kürzlich erschienen sechsten Band der englischsprachigen »Architectural Papers« hat die ETH Zürich die »pädagogische Interaktion« verschiedener Künste thematisiert. Zugehörig schlagen sich die Untersuchungen der Schnittstellen von Architektur zu bildender Kunst, Film und Literatur in Entwurfsprojekten nieder und werden mit Essays und Interviews ergänzt.

Der Kunsthistoriker Philip Ursprung setzt einleitend den Fokus auf die Dekade zwischen den 1960er und 70er Jahren in den USA, in der der Raumbegriff zunehmend dominant wurde und das Zeitdenken verdrängte, das z.B. die klassische Moderne noch bestimmt hatte. Dieser sog. »Spartial Turn« ließ die Grenzlinien zwischen den Kunstdisziplinen verschwimmen und sorgte mit Happenings, dreidimensionaler, reliefartiger Malweise oder auch skulpturalen Installationen dafür, dass die Rezipienten förmlich mit den jeweiligen Objekten verwoben wurden. Auch die politischen und gesellschaftlichen Umstände der Folgejahre (von Ölkrise über den Vietnamkrieg bis zur Watergate-Affäre) ließen eine »architekturale Kunst« entstehen, deren Protagonisten vor allem die funktionale und historische Bedeutung des Raumes kritisierten.

Gordon Matta-Clark rief gar die »Anarchitektur« aus: „(he, CJG) exemplified the rebellious desire of this generation to shatter the rigid structures of the established order”. Seit den 1990er Jahren wiederum ist die Globalisierung allgegenwärtig. Sie veränderte das Raumempfinden ebenfalls erheblich, so gehören für Menschen der westlichen Einflussgebiete »Junk Space«, also beständig-unbeständige Warenwelten oder »Nicht-Orte«, also unpersönliche Transiträume mobiler Verkehrsmittel zum Alltag. Philip Ursprung macht mit der Hinwendung der gegenwärtigen Künstler (z.B. Olafur Eliasson) zu Textur und Oberfläche auch die Evolution des Design aus und skizziert dessen Kraft zur: »unbreakable concentration of immediate presence«. So weit, so gut.

In der Folge sollten nun (eigentlich) die Schnittmengen von Architektur, Malerei und Bildhauerei fokussiert werden. Joseph Lluis Mateo macht sich mit seinen Studenten hierzu zunächst auf die Suche nach der »chapel experience«, einem physischen Ort, in dem es Verbindungen zu immateriellen Kräften gibt. Er sieht in dieser Adaption des Genius loci ein Nichtwissen geborgen, das einen Startpunkt beschreiben kann, um etwas Neues hervorzubringen. Vom Familienhaus des Alberto Giacometti werden verschiedene Spuren gesucht, die die Geschichten hinter den Objekten und Landschaften erzählbar werden lassen. Geschichten, die auch in die Entwürfe der Studenten einfließen sollten, um authentische Gebäude zu formen. Freilich stellt sich nach deren Betrachtung die Frage, wo denn hierbei die direkte Auseinandersetzung mit den »fine arts« respektive der Malerei bleibt – und auch die Bearbeitung des »sculpting« scheint sich auf Innen-Außen-Dichotomien zu beschränken, die von Göttfried Böhm in einem Interview benannt wurden.

Auch bei dem nächsten Projektblock, der eigentlich die architektonische Schnittstelle zum Film ausloten sollte, scheint der Mut zu fehlen, die Grenzen der eigenen Disziplin tatsächlich zu überschreiten. Anstatt nach einer Verbindung der zeitbasierten Kunst des Films mit der statischen und soliden Erblast der Architektur zu forschen, begnügen sich die dargestellten Entwürfe damit, Kinos zu planen. Dabei ist, wie schon im ersten Projektblock, der Anspruch viel weiter gefasst: »A constant focus was set thereby on the relationship between architecture´s physical reality and cinema´s real fiction«. Aufschlussreich ist hier das Interview mit dem spanischen Regisseur José Luis Guerin. Er betont z.B., dass es für die Filmkunst ohne die Darstellung von Räumen und Architekturen nicht gelingen kann, der Zweidimensionalität eines Bildes, zu entfliehen. Für den Regisseur bilden Bauwerke und Landschaften also erst die Rahmen aus, in denen filmische Geschichten erzählbar werden: »Rather than writing a lot and inventing a framework of a strory, be it fiction or documentary, what I do is relate to a given space and interpret it«.

Das letzte Thema ist die Interaktion der Architektur mit der Literatur und, wie es zu erwarten war, soll es hierzu ausreichen, einige Zürich-Assoziationen von Elias Canetti kurzzuschließen, um den Entwurf von Bibliotheken mit dem Anspruch zu vereinen, geschriebenes Wissen baulich zu bannen. Allerdings war man sich klar darüber, dass das Wissen heutzutage unaufhaltsam auf dem Weg zur körperlosen Digitalisierung ist und sich die Frage stellt, wie -oder ob überhaupt noch- ein »temple of knowledge« sich vor diesem Hintergrund manifestieren können sollte. Wieder einmal ist das Interview hier ausschlussreich, so betont der italienische Architekt und Autor Pier Vittorio Aureli, dass Schreiben auch eine Art von bauendem Entwerfen -und damit Poesie- darzustellen vermag: »I think that architecture has a similar task as that of poetry, because it formalizes the moment in with the inborn characteristics oft he human animal seek the containment in a sheltered structure«.

Ein Problem, dass im vorliegenden Band anschaulich dokumentiert wird ist, dass die Architekten unter sich bleiben und auch, dass sie offenbar nicht bereit sind, ihre eigenen fachlichen Basen infrage zu stellen. Nur so aber kann ein interdisziplinäres Arbeiten und zugehörig ein Erforschen der Schnittstellen der Architektur zu den bildenden wie darstellenden Künsten vonstattengehen. Eigene Gewissheiten müssen sich in einem fruchtbaren Dialog/Prozess als das erweisen, was sie sind, nämlich vorübergehend, perspektivisch und alles andere, als universal gültig. Erst wenn ein Architekt begreift, dass ein dreidimensionaler Raum für Menschen auch projiziert, getanzt oder gedichtet werden kann, ist er bereit für eine tatsächliche »pädagogische Interaktion«. Insofern reißen die »Architectural Papers VI« zwar einen riesigen Horizont auf, bewegen sich jedoch nur zaghaft darauf zu.

Erschienen: AZ/Architekturzeitung