Zurück zu den Wurzeln …

By cjg on 21. Januar 2016 — 3 mins read

Welcher Architekt wagt sich heutzutage an eine allgemeingültige Definition dessen, was schön sein mag? Wer wagt sich weiter an eine Verknüpfung von universaler Schönheit mit einem sinnerfüllenden Bauen? Der Berliner Jörn Köppler tut das und legt eine theoretische Arbeit vor, die im Zeitalter von „parametrischer Komplexitätsreduktion“ und ähnlichen Entwurfsmaschinen-Doktrinen den Durchgriff reklamiert auf nichts Geringeres, als die Basen menschlicher Freiheit.

Mit Immanuel Kant im Gepäck offenbart der Autor in seinem Buch „Sinn und Krise moderner Architektur. Zeitgenössisches Bauen zwischen Schönheitserfahrung und Rationalitätsglauben“ auf rund 300 Seiten die Frucht einer zehnjährigen Denkbewegung. Der geneigte Leser sollte sich nicht auf leichte Kost einstellen, denn die philosophische Gründung in der Kantischen Ästhetik fordert das konzentrierte Nachvollziehen seiner strengen, gedanklichen Architektonik. Abschrecken allerdings sollte man sich davon nicht lassen, denn das, was hier in Erinnerung gerufen wird, lohnt die Mühe.

Mit wenigen Bildern und hauptsächlich an Architektur (-theorien) von Boullée, Schinkel und Mies van der Rohe orientiert, bekommt die Leitthese Kontur, wonach dem Menschen eine sinnstiftende Dimension eröffnet wird über die Teilhabe an einer naturhaften Wirklichkeit, die sich begriffslos erfahrbar macht. Als sprachloses Staunen kommt dem überwältigenden Teil des dichotomischen Gespannes -der Erhabenheit- dabei die wichtige Rolle „des Anderen“ zu.

Im Gewahrwerden des Erhabenen liegt die Präsenz einer sinnfreien Natur – man ist hier fast gewillt zu sagen, einer Naturgewalt. Sinnhaft wird das Ganze durch eine parallel laufende Freiheitserfahrung, die sich über die Trennung von der Natur markiert. Eine Trennung freilich, die nicht überwunden werden kann, weil sie die menschliche Existenz durchwaltet: „…Denn Freiheit, die nicht in der naturhaften Wirklichkeit gesucht wird, ist keine, und eine so verstandene führt den Menschen nur in die Unwirklichkeit einer reinen Begriffswelt…“ (a.a.O.; S. 270)

Erfreulicherweise will der Autor im romantischen Rückgriff nicht auf eine kanonische, hermetische Ordnung der Bauformen hinaus, sondern reklamiert das beste Erbe dieser Epoche, nämlich die Vielfalt einer Architektur, die über sich hinausweist. Wie das ganze Bauwerk sollten sich auch seine Konstruktionen in die Rolle eines Mediums fügen, das den Menschen hilft, die wohlgefällige, konstituierende Erfahrung des Anderen ihrer Selbst zu machen.

„poiesis“ in Sinne von Schöpfung oder Erschaffung durchscheint als primäres Thema diese freiheitsstiftende Baukunst, denn im Dienste der Schönheitserfahrung entsteht eine Balance zwischen Schwerkraft und menschlichem „Raumwollen“. Die Konstruktion gleicht dabei der Grammantik einer Sprache, die auf das Unsprechbare zielt. Sie wäre luftig, filigran, bewegt und nur dazu da, in das noch Unerfüllte des Raums zu weisen.

Mancher mag instinktive Vorbehalte haben gegen die intellektuelle Reaktivierung des 18. Jahrhunderts. Es bleibt dazu zu sagen, dass der Autor nur das Beste daraus im Auge behält und beharrlich auf die Trias „Freiheit, Ästhetik und Natur“ rekurriert. Wohltuend ist auch, dass er sein Sinnsystem unreligiös verortet und dabei nie in Besserwisserei verfällt. Vielmehr umschifft er im Sinne des Königsbergers elegant die Klippen einer reduktionistischen und damit lebensfeindlichen Rationalität.

Das Buch birgt tatsächlich einen universellen Horizont, indem es kulturübergreifend den Menschen selbst in den Mittelpunkt von Schönheitserfahrung rückt. Das Nehmen im Wahr-Nehmen steht zusammen mit dem Gegebenen und als solches lebt es von der Spannung des konstituierenden Anderen, d.h., dass die einzelne Anschauung den Weg zur Wahrheit weist und keine Religion oder Begriffssystematik.

Architektur in einer solchen Haltung wäre gebend, stiftend, entbergend und erschaffend. Sie folgte der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“: „…dieses (geistig-ästhetische, CJG) Bauen keinem anderen Zweck dienen kann, als jenem, welcher allen Zwecken entgegen gesetzt ist, der Reflexion der Zweckmäßigkeit ohne Zweck, der Reflexion des Lebens selbst also im Moment der Schönheit, die zudem nur interesselos war und sein musste…“ (a.a.O.; S. 64)

Erschienen: Deutsche Bauzeitschrift